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Thomas Brasch

»Ich merke mich nur im Chaos«

Der Seismograph
Interviews mit dem Lyriker, Schriftsteller, Filmemacher und Dramatiker
Thomas Brasch

Kritik
  Thomas Brasch
»Ich merke mich nur im Chaos«
Interviews 1976-2001
Frankfurt: Suhrkamp-Verlag 2009
336 Seiten, 19,80 Euro


„Schriftsteller sein ist ein immer wiederkehrender Zustand, kein Beruf; so wie Musil sagte, Prosa sei keine Schreib- sondern eine Existenzform. Man muss das Ausatmen lernen und das Wiedereinatmen praktizieren [...].“

Der Schriftsteller Thomas Brasch konnte über das Erzählen und das Schreiben so präzise wie poetisch sprechen. Aber er konnte in Gesprächen ebenso scharfsinnig widersprechen, wenn versucht wurde, Literatur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen: den politisch-geographischen. Auf die Frage, ob sein Theaterstück „Lovely Rita“ nicht ein DDR-spezi­fisches Stück sei, antwortete Brasch: „Ich glaube nicht, dass jemand auf die Idee käme, Beckett zu fragen, was das spezifisch Irische am „Godot“ sei.“

„Ich merke mich nur im Chaos“ – diesen schönen Titel trägt der nun bei Suhrkamp erschiene Interviewband, 27 Gespräche mit dem Ausnahme­talent Brasch sind hier versammelt. Sie wurden von 1976 bis 2001 unter anderem mit dem Spiegel, der ZEIT, mit Theater heute, der taz oder konkret geführt, die Herausgeberinnen Martina Hanf und Annette Maennel haben sie ausgewählt.

Man könnte diese Interviews als bio­graphische Selbst­zeugnisse lesen, und doch sind sie mehr als das – es sind Denkräume, groß und weit, die man gerne betritt, durch die man gerne geht. Reflexionen über die deutsche Geschichte finden sich ebenso wie prägnante Analysen gesell­schaftlicher Zustände, das Wissen um die Verflech­tungen von Kunst, Politik und Gesellschaft steht neben dem Entwurf künstle­rischen Selbst­verständ­nisses, Anek­dotisches liegt neben Melan­cholischem und immer ist da Haltung zum Leben, zur eigenen Geschichte. Im Dezember 1976 war Brasch gemeinsam mit der Schauspieler­in Katharina Thalbach und deren Tochter Anna nach West-Berlin ausgereist, im Januar 1977 wird er vom „Spiegel“ zu seiner Emigration interviewt. Schnell wird hier deutlich, wie ungern Brasch sich vereinnahmen ließ und wie wenig er von Rollen­zuschreibungen hielt. Und man kann das Staunen über diesen Schrift­steller, der ausgereist war und sich doch nicht so leicht kate­gorisieren ließ – nicht als Dissident, nicht als Exilant, nicht als DDR-Autor, nicht als Repräsentant einer kompletten Generation –, zwischen den Zeilen der Fragen fast hören. „Ich stehe für niemand anders als für mich“ – so lautet der letzte Satz dieses Interviews und er ist gleichsam die Quintes­senz desselben.

Brasch wurde als Sohn jüdischer Emigranten im Exil geboren, 1947 siedelte die Familie in die sowjetische Besatzungs­zone über. Mit elf Jahren kam das Funktionärskind, Braschs Vater war zeitweise stell­vertretender Kultur­minis­ter der DDR, auf die Kadetten­schule der Nationalen Volks­armee nach Naumburg. Vier Jahre dauert der Internats­aufenthalt, eine Flucht war nicht möglich und in einem Brief machte er einst deutlich, was Einsamkeit und Drill gebären: ein „Kaltes Herz“. Wie sehr ihn diese Zeit geformt hat, wird auch in dem interes­santen Gespräch klar, das er 1977 mit der ameri­kanischen Zeitschrift „New German Critique“ führte. Denn durch die militä­rische Erziehung an der Kadetten­schule schreckte ihn selbst die Androhung harter Arbeit nicht mehr ab, mit der die Kreisleitung der FDJ später versuchte, den jugend­lichen „Haupt­unruhe­stifter“ zu unterweisen. Brasch, alphabetisch ganz vorne auf der Liste, weigerte sich der Volksarmee beizutreten, was seine Mitschüler ermutigte ebenfalls „Nein“ zu sagen. Freiwillig oder gezwunge­nermaßen wird er in der Folge immer wieder in Fabriken arbeiten, so auch nach seiner Haft, zu der man ihn 1968 wegen „staats­feind­licher Hetze“ und der Vertei­lung von Flugblättern gegen den Einmarsch in Prag verurteilt hatte. Brasch bekommt einen Arbeitsplatz als Fräser im Trans­formatoren­werk Oberschön­weide zugewiesen, und das Ergebnis dieses Aufent­halts ist einer der schönsten Prosabände über den Mensch und die Maschine. 1976 lehnt der Rostocker Hinstorff-Verlag das fertige Manuskript von „Vor den Vätern sterben die Söhne“ ab. Und Brasch, der als Schriftsteller, „irgendwann aus dem Baby­alter herauskommen und, nach Jean Paul, unter „G“ wie „Gedruckt“ erscheinen will“, verlässt die DDR. 1977 erscheint der Band im West-Berliner Rotbuch Verlag, mit der Gedicht­sammlung „Der schöne 27. September“ gelingt drei Jahre später endgültig der literarische Durchbruch.

Doch der Viel­begabte beschränkt sich nicht, probiert immer wieder weitere Formen, bedient sich unterschied­licher Gattungen, Genres und Medien. Er glänzt mit zeitgemäßen und sensiblen Übersetzungen Shakespeares und Tschechows und feiert mit Theater­stücken wie „Lovely Rita“ oder „Rotter“ ebenso Erfolge wie mit den Kinofilmen „Engel aus Eisen“ (1981) oder „Der Passagier“ (1988). Offen gibt er in den Interviews Auskunft über seine ästhetische Haltung, die künstlerische Arbeit, über Produktions­prozesse, doch weigert er sich konsequent sein Werk zu inter­pretieren. Es gehe darum, erklärt er 1981 im Interview mit der ZEIT, sich eine „bestimmte Portion Dummheit zu erhalten“, um sich nicht selbst anzusehen wie der Psychiater den Patienten. „Wenn ich mehr über das, was ich über ein Gedicht weiß, als in dem Gedicht steht, oder über einen Film weiß, als in dem Film zu sehen ist: dann ist es ein schlechtes Gedicht und ein schlechter Film.“ Und vielleicht ist es gerade diese Abneigung gegen das Theoreti­sieren und Durch­rationali­sieren, die Braschs Werke, vor allem aber seine Gedichte so besonders macht. Nie wirken sie konstruiert, nie sind sie bemüht intellektuell. Lakonisch, präzise und knapp erzählen sie von dem, was ist und nicht ist. „Das Unvereinbare in ein Gedicht: / Die Ordnung. Und der Riß, der sie zerbricht.“ Braschs Leben war so wie sein Land in zwei Hälften geteilt, doch wollte er diese Wider­sprüche nie behoben oder nivelliert wissen, denn gerade aus ihnen entstand die Reibung: „DIE REIME SIND SCHÖN SIE BELÜGEN DICH/Das macht sie ähnlich deinen zwei Ländern / Sie zwingen dich Und sie fügen sich /Was willst du immer noch an beiden ändern“.

In seiner ästhetischen Haltung „nicht das Gegenteil schreibend zu erkämpfen, sondern Gegenbilder zu entwerfen“, sei er Uwe Johnson nicht unähnlich, stellt der Interviewer Thomas Wild im letzten und wohl schönsten Gespräch des Bandes fest. Was Johnson und ihn verbinde, antwortete Brasch darauf, sei der „äußerst geschärfte Instinkt, dass die Welt erst durch einen Menschen hindurch muss, um beschrieben werden zu können.“

Am 3. November 2001 starb dieser große Schriftsteller im Alter von 56 Jahren in Berlin. Was bleibt, sind neben seiner Prosa, den Stücken und Filmen, vor allem Gedichte, die immer noch nichts von ihrer Kraft verloren haben und „deren Zeilen wie Nadeln seismographisch jede Erschüt­terung aufzeichnen“, wie es Albert Ostermaier einmal formuliert hat.

Eines der schönsten, „Anna“, soll das einzige Gedicht sein, dass Brasch während seiner Haftzeit 1968 geschrieben habe. Es findet sich in dem kleinen, feinen Nachlassband „Was ich mir wünsche“: „Anna, komm mein warmer Stein /leg dich in mein Kissen / trink von mir und trink vom Wein/morgen werd ich nichts mehr sein / nur das mußt du wissen“.
Madeleine Prahs   03.10.2009    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen
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