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Lisa Fritsch
Die Favoritin des Papstes

An meinem Geburtstag – ich werde heute sechzehn – bin ich vom Duft der Blüten in den Vasen aufgewacht, glückselig, als ich die Wanne aus Marmor mit dem Kopf des Panthers entdeckte, die der Papst in mein Schlafzimmers stellen ließ. Dieses Prachtstück ist auf seine Anweisung aus den Thermen geholt worden. Es ist sein Geschenk. Ihm verdanke ich, was mir früher unerreichbar schien: in einer Marmorwanne zu baden.
  Mit dem Bad beginnt der Tag. Ich rieche die Rosen­blüten und warte, dass die Sonne aufgeht. Das tut gut nach dieser Nacht. In der Badewanne bin ich allein, keiner beugt sich über mich, niemandem muss ich gefallen, ich reinige meinen Körper von den Spuren päpstlicher Gier und ich kann wieder ich selbst sein. Der Papst ist 44 Jahre älter als ich. Ich weiß, was er meint, wenn er mich nachts in seine Privat­zimmer führt. Ich kann ihn nicht abweisen, ich habe keine andere Wahl. Dass ich seine Geliebte geworden bin, ist Stadtgespräch und nur für die­jenigen skandalös, die mich darum beneiden. Seine Geschenke nehme ich an. Allein von den Juwelen werde ich später gut, sehr gut leben. Das ist meine Lust. Außerdem steht meine Familie unter seinem Schutz. Dafür setze ich meine Intuition und meinen Körper ein.
  Zweifellos ist er, Alexander VI., nicht nur unfehlbar, sondern auch unbelehrbar, denn meinetwegen hat er Vanozza verlassen. Sie ist immerhin die Mutter seiner vier Kinder. Dass ich ver­heiratet bin, interessiert ihn nicht. Wollte ich zu meinem Ehemann zurückkehren, wäre das für den Papst eine sträf­liche Undankbarkeit, eine Nieder­tracht, die er mir unter Androhung eines Kirchenbanns verbieten würde. Mein von Eifersucht gequälter Mann ist aber dem Papst zu Gehorsam verpflichtet. Er nimmt die Anweisungen Seiner Heiligkeit kniend zur Kenntnis und wird für den ehelichen Verzicht aus der päpst­lichen Schatulle reichlich entschädigt.

Texte aus: Wannen Wonnen. Sonderzahl Verlag.

Lisa Fritsch    18.06.2010   
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