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Erbinnen

Im Jahr, nach dem mein Vater gestorben war, begann ich endlich, mich normal zu fühlen. Ich arbeitete weniger, ich verdiente weniger, ich soff weniger, war seltener depressiv und seltener krank.
Nora trennte sich von ihrem Mann, Jade hörte auf, sich die Haut von den Fingern zu pellen, und unsere Mutter begann, das Erbe zu verjubeln. Insgesamt schien es bergauf zu gehen.

Jade hatte mal angekündigt, wenn Vater sterbe, werde sie auf seinem Grab tanzen. Aber nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Und das gilt auch für das Tanzen auf Gräbern.
Seit Vater tot ist, verstehen wir uns immer besser. Neuerdings gehen wir sogar zusammen spazieren, Jade, Nora und ich. Wir hören den Vögeln zu. Alles ist friedlicher geworden. Nora schwärmt von unserem Vater, und Jade und ich hören still zu. Wenn wir dann nach Hause kommen, in das Haus meiner Mutter, kochen wir ein gigantisches Essen. Ich mache die Suppe, Nora die Hauptspeise und Jade das Dessert.
Die beiden haben sich dran gewöhnt, dass ich kein Besteck benutze. Weil ich nichts Metallenes in der Nähe meines Gesichts haben will. Das könnte ins Auge gehen. Haha. Ich esse, soweit wie möglich, mit den Fingern.

An der langen Wand im Esszimmer hängt zwischen anderen Bildern das große Familienfoto. Wir fünf vor dem Haus. Mutter, Jade und ich sitzen auf einer kleinen Bank. Jade schaut herunter auf ihre Hände oder vielmehr auf einen roten Seidenschal auf ihrem Schoß, unter dem sie ihre Hände verbirgt.
Nora steht mit Vater hinter uns. Das Foto ist nicht eben vorteilhaft. Es war nicht als offizielles Familienbild gedacht, als es aufgenommen wurde. Kurz zuvor hatte Vater die Fassade streichen lassen, und von der Silberhochzeit der Eltern stand noch die Blumendekoration an der Haustür, zwei Rosenstöcke, schlank und gerade wie Wachsoldaten.
Später, als Nora heiratete, wollte Mutter unbedingt eine Familiengalerie im Esszimmer einrichten. Und da stellte sie fest, dass es kein anderes Foto von uns allen gab, als das, das kurz nach der Silberhochzeit vor dem Haus aufgenommen worden war.

Als Kind war Nora Vaters Liebchen. Deshalb schaute ich immer genau hin, was sie mit ihm machte. Aber so oft ich auch hinsah, sie machte nichts. Wenn Vater irgendwo etwas aufräumte oder reparierte, stand sie nur daneben und schaute ihn an. Sie sah ihm nicht zu, sie sah ihn an. Sonst nichts. Aus blauen Kulleraugen umrahmt von goldenen Korken­zieher­locken ein Blick verklärter Liebe. Sie hätte jederzeit die Sisi spielen können. Ich hätte sie gern in der Luft zerrissen.

Wo immer unsere Familie hin kam, überall fand sich jemand, der uns diesen verstaubten Operettentitel entgegenblökte: Das Dreimädelhaus! oder auch, in der verschärft wienerischen Version, „Dreimäderlhaus“. Es gab in den 60er Jahren massig Leute, die diese vermaledeite Operette kannten. Vermutlich war sie im Fernsehen gezeigt worden. Jedenfalls bewirkte sie, dass wir immer und überall als potentieller Volkstheater-Nachwuchs dastanden. „Das Dreimädelhaus“ zusammen mit dem Ausruf „Der arme Vater!“ war das Mantra unserer Kindheit. Später kam die Variante „Dann ist der Vater ja der Hahn im Korb“, was zwar charmanter klang, den Kern der Sache aber genauso wenig traf.
Posthum muss ich sagen, dass sie mit „der arme Vater“ näher dran waren.

Nach dem Essen spielen wir Bridge. Jade ist sehr rechthaberisch. Manchmal nervt sie mit ihrer spitzen Stimme. Trotz der neuen Harmonie sind wir immer alle drei hellwach, haben die Antennen ausgefahren und wie in alten Zeiten auf gegenseitige Belauerung eingestellt.

Streit um das Erbe hat es nicht gegeben. Die Sorge, Nora könnte mehr bekommen, war überflüssig. Jede hatte nur ihren Pflichtteil bekommen. Vater hatte kein Testament gemacht. So war der Löwenanteil an Mutter gefallen. Sie hatte bei der Gelegenheit erfahren, dass schon vorher die Hälfte von allem ihr gehört hatte und war darüber sehr erstaunt. Sie schien nicht damit gerechnet zu haben, dass diese Ehe noch irgendwelche Vorteile für sie auf Lager haben könnte.
Nun war sie also durch den Todesfall in zweifacher Hinsicht reicher geworden. Aber genau besehen war damit die Gefahr nicht gebannt, sondern größer geworden. Denn jede von uns Töchtern weiß: wer als erste die Skrupel über Bord wirft und Mutter um Geld angeht, wird den Sieg davontragen. Mutter wird über der ersten, die sie um Unterstützung bittet, das Füllhorn ausleeren, ohne zu überlegen, was danach kommt. Sie benimmt sich, als hätte sie einen Goldesel geerbt und nicht ein marodes 50er-Jahre-Haus, auf dessen Dach grünes Moos sprießt.
Außer dem Haus blieben uns ein paar Aktienpakete und jede Menge Erinnerungen. Sie hängen in den Ecken und Winkeln der Räume wie Spinnweben oder kommen plötzlich zwischen den Möbeln hervor wie Wollmäuse bei Durchzug.

Einmal hatte Vater mich nachts aus dem Bett gezerrt und verdroschen. Ein Freund von mir hatte sein Mofa vor seiner Garage stehen lassen. Es war einfach nicht angesprungen, also hatte er es kurzerhand dagelassen und war zu Fuß nach Hause gegangen. Als Vater spät von einer Sitzung zurück kam, musste er das marode Mofa wegschieben, um in seine Garage fahren zu können.
Ich lag im Bett und wurde wach als die Zimmertür aufflog. Mit drei schnellen schweren Schritten war er an meinem Bett und zerrte mich am Arm unter der Bettdecke hervor. Ich wusste nichts von dem Mofa. Ich glaubte, schuldig zu sein, weil ich bequem in meinem kuscheligen Bett lag, während er für uns das Geld verdienen musste. Deshalb war ich nicht besonders überrascht über die Schläge.
Aber in der Zeit darauf fing jedesmal, wenn ich im Bett lag und ein Geräusch draußen im Flur hörte, mein Puls an zu rasen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man im Halbschlaf ist und plötzlich das Herz losbrettert wie bei einem 100-Meter-Lauf. Auch Jade hat er einmal nachts geweckt. Das war allerdings kein Wutausbruch, sondern eine Erziehungs­maßnahme. Er rief so lange nach ihr, bis sie schlaftrunken aus ihrem Zimmer gestolpert kam. Er saß am Tisch, den Jade gedeckt hatte, bevor sie ins Bett gegangen war. Wenn er abends arbeiten musste, war es ihre Aufgabe, ihm das Abendbrot hinzustellen.
„Komm, hol eine Leiter“, rief er und wedelte ungeduldig Richtung Kammer. Es dauerte eine Weile, bis Jade kapierte. Sie tapste, noch immer verschlafen, zur Kammertür und zerrte die hölzerne Klappleiter heraus, die gut einen Meter länger war als sie selbst. Ich stand im dunklen Flur hinter der Küchentür, die einen Spalt breit offen stand, und war froh, dass es nicht mich getroffen hatte. Ich sah, wie Jade sich ein Bein der Holzleiter über ihre nackten Zehen zog und wie sie zusammenzuckte.
„Los, los, stell auf! Hier hin, neben den Tisch!“
„...“
„Steig rauf, dalli dalli.“
„...“
„Was siehst du?“
Jade sah komisch aus, wie sie sich da auf der Leiter festklammerte, in ihrem Baumwollschlafanzug mit den verwaschenen hellblauen Teddybären drauf, den vor ihr schon Nora und vor Nora ich getragen hatte. Ihre langen dünnen Haare waren vom Kampf mit dem Schlaf und dem Kopfkissen verfilzt. Sie saß da oben und blinzelte auf den Küchentisch herunter, und Vater saß unten und schaute nicht zu ihr hinauf, sondern auf seinen Teller, auf dem ein mit Butter beschmiertes Schwarzbrot und ein in Viertel zerteiltes Radieschen lagen.
„Was fehlt?“
„Weiß nich“, wimmerte Jade.
Ohne von der Tür aus den ganzen Tisch überblicken zu können, ging ich im Geist durch: Butter war da. Brot auch. Radieschen, Zwiebel in Scheiben, Senf, Käse ...
Was vergaß man am leichtesten?
Salz. Der Salzstreuer war so klein. Deshalb merkte man nicht, wenn er fehlte.
„Salz!“, hätte ich rufen können. Aber Vorsagen gilt nicht. Also ging ich auf Zehenspitzen in mein Bett.
Dabei hat sich Jade früher ziemlich viel Mühe gegeben, mit Vater auszukommen. Schon als sie noch ganz klein war.
Zwei Wochen vor seinem Geburtstag hatte sie zwischen unserem Kindertisch und einem auf die Seite gelegten Liegestuhl Decken gespannt und sich ein „Arbeitszimmer“ gebaut. Natürlich war die Absperrung nicht hoch genug, um sie vor Noras und meinen ätzenden Blicken zu schützen. Deshalb holte sie alle verfügbaren Regenschirme, spannte sie auf und verkeilte sie miteinander zu einer Kuppel, die ihren Decken-Pferch nach oben abschirmte. Dann kroch sie unter der Wolldeckenwand hindurch in ihr Separée. Kurz darauf wand sie sich wieder heraus und begann, mit einem Springseil nach der Lampe zu werfen. Das alles ohne ein Wort der Erklärung und mit einer Mine trotziger Entschlossenheit. Ich beobachtete das Schauspiel mit enormem Argwohn, Nora mit freundlichem Interesse.
Schließlich hatte Jade mit ihrem Springseil-Lasso den Lampenschirm eingefangen und band die Lampe so am Leiterbett fest, dass der Lichtkegel zwischen den Regenschirmen hindurch in ihr Atelier fiel.
In den folgenden Wochen verteidigte sie dieses Territorium gegen uns mit Zähnen und Klauen. Jeden Tag verschwand sie hinter den Decken. Pünktlich zum Geburtstags­frühstück rückte sie mit einer großen Quelle-Tüte an.
Mit ernster Mine zog sie eine Papierrolle aus der Plastiktüte und überreichte sie unserem Vater, so wie vor tausend Jahren berittene Boten aus fernen Reichen mit einer Pergamentrolle vor den König getreten waren.
Der Vater warf einen Blick auf das Werk.
„Das ist ja sehr schön“, sagte er. Der Satz kam aus seinem Gesicht so, wie ein warmer Griespudding mit Himbeersoße aus einer Gletscher­spalte schlüpft: Unwirklich. Unglaubwürdig. Unpassend.
Aber schon das, was er mit dem nächsten Atemzug sagte, passte wieder: „Nun mach auch mal etwas Vernünftiges.“
Damit legte er das Bild zur Seite und rührte Zucker in seinen Tee.
Dann übergaben Nora und ich gemeinsam ein paar Wollsocken. Kurz vor dem Geburtstag war uns klar geworden, dass Jade uns in den Schatten stellen würde, wenn sie ein Geschenk für ihn hätte und wir keins. Also waren wir zu Mutter gegangen und hatten im Jammerton gefragt, „Was sollen wir dem Papi denn schenken?“ Nachdem wir sämtliche Vorschläge von Mutter zurückgewiesen hatten, hatte sie uns schließlich entnervt ein paar Socken in die Hand gedrückt. Damit waren wir zufrieden abgezogen. Nun gab ich ihm die Socken, und er sagte noch mal „Sehr schön“ und streichelte Nora über den Kopf. Ich spürte ein bitteres Flämmchen Eifersucht auflodern, dann machte ich mich über das Nutella-Glas her.

Jade wollte damals Maler werden. Sie war noch zu klein, um zu kapieren, dass es „Malerin“ hätte heißen müssen. Bis sie endlich in die frauenbewegte Phase kam, glaubte sie schon selbst nicht mehr dran.
Immerhin hatte sie die Stirn zu sagen, sie wolle Design studieren, was Vater mit Spott quittierte. Jade flog vom Gymnasium. Auf der Hauptschule bekam sie Neurodermitis.

Manchmal hatte ich so ein Gefühl, als wäre Vater zufrieden mit mir. Aber das Gefühl war wie eine Fata Morgana.
„Sie ist Diätköchin“, sagte Vater zu einem Kollegen, dem er mich vorstellte, als er uns in der Stadt über den Weg lief.
„Ich bin Ernährungsberaterin“, korrigierte ich. „Ich koche nichts, ich berate nur.“
Vater schüttelte missbilligend den Kopf. Er konnte nicht verstehen, wie man sein Geld damit verdienen konnte, nur über Essen zu reden, anstatt es zuzubereiten.
Ich bin Ernährungsberaterin, so wie der Brandstifter Feuerwehrmann. Ich weiß alles über Kalorien und Joule, Fette, Eiweiße, Kohlehydrate und über Petitessen wie Spurenelemente und Enzyme.

Mit der Zeit haben wir uns aneinander gewöhnt. Was bleibt einem auch anderes übrig. Wir spielen Bridge, während nebenan in der Küche der Geschirrspüler leise brummt. Vom Bild über dem Esstisch schaut die komplette Familie ungläubig auf die Rest-Familie herunter. Ich für meinen Teil übrigens einäugig. Auf dem Bild trage ich die Augenklappe. Ich hatte mir das rechte Auge angestochen. Ich war mal wieder zu gierig gewesen. Inzwischen weiß ich – und genau das hat mich in den Schoß der Familie zurück gebracht –, dass diese Gier in jedem Mitglied dieser Familie steckt. Außer in Nora. Alle anderen haben die Gier in sich. Jeder versucht unwillkürlich, sie zurückzuhalten, aber aus jedem findet sie ihren Weg auf andere Art. Bei Vater war sie durch die soliden Moralgesetze der Nachkriegszeit abgeschirmt und tobte sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Bei Jade bahnte sie sich ihren Weg über ihre hysterischen Ausfälle.
In Mutter schlummerte sie scheinbar friedlich bis in den Witwenstand und kam dann klar und stark ans Tageslicht. Nur Nora war anders. Sie war nie verlegen, nie beleidigt, nie schadenfroh und nie eifersüchtig. Ich würde nicht glauben, dass es so etwas gibt, hätte ich es nicht selbst jahrzehntelang ansehen müssen.
Bei mir bricht die Gier am ehesten durch, wenn ich allein bin. Dann packe ich den gesamten Kühlschrank-Inhalt auf den Couchtisch und schalte den Fernseher ein.
So weit ist es an dem Tag des Unfalls nicht gekommen. Ich war erst dabei gewesen, die Einkaufstaschen auszupacken. Noch bevor ich daran dachte, das Vanilleeis ins Frostfach zu legen, fand ich das Glas Königsberger Klopse in cremiger Kapernsoße. Natürlich hatte ich Hunger. Natürlich hatte ich Hunger. Ich erinnere mich, dass die Klopse unanständig groß waren. Einer ragte aus der Soße heraus wie eine Brust. Zart grau-rosa. Oben drauf klebte eine Kaper. Ich fischte den Klops mit Daumen und Zeigefinger heraus. Die Kaper begann zu rutschen. Erst langsam, wie ein Schecke auf ihrer schleimigen Spur. Dann schneller. Ich drehte den Klops und schnappte zu. Etwas blitzte auf vor meinem rechten Auge, ein Schnitz von Licht. Aber schon als das Blitzen im Kleinhirn ankam, war es vorbei und Schwärze vor meinen Augen.
Ich spürte das Küchenmesser in meiner Faust, und der nächste Blitz war die Erinnerung, dass ich den Klops hatte durchschneiden wollen.
Etwas Warmes ergoss sich über das untere Lid, und ich musste gleich an ein angestochenes Eigelb denken und dann komischerweise an Dalís weiche Uhren. Wie sie so wehrlos, so ausgeliefert über dürren Ästen hängen.
Dann lief ich zum Telefon und rief einen Notarzt. Zu einem der Nachbarn zu gehen fiel mir nicht ein. Ich wäre auch nicht begeistert, wenn nach Feierabend plötzlich jemand mit einem auslaufenden Auge vor meiner Tür stünde.

Der Chirurg hatte eine saumäßige Laune. Wahrscheinlich hatte man ihn gerade von seinem Rolf-Benz-Liegemöbel aufgescheucht, als er ein Tennismatch verfolgte, auf dem 89-cm-Bildschirm seines High-definition-TVs (Das war damals das Neuste, und ein Augenarzt hatte bestimmt die besten Argumente, sich so was anzuschaffen).
„Sie hätten den Fremdkörper im Auge stecken lassen sollen“, blaffte der Chirurg. Ich überlegte, ob ich mich entschuldigen sollte. In dem Moment beugte sich jemand über mich. Ich sah ihn fern und verschwommen durch mein linkes Auge wie durch ein aufgewühltes Aquarium hindurch. Dieses linke Auge produzierte seit der Sekunde des Stichs einen nicht versiegenden Tränenstrom, und ich fragte mich, was wohl mit den Tränen des rechten Auges passierte. Der Mann, der vor meinem linken Auge herumschwamm, war der Anästhesist.
„Wenn die Netzhaut durchstoßen ist, können Sie Ihr Auge vergessen“, schnarrte der Chirurg. Dann vergaß ich das Auge, den Chirurgen und den Anästhesisten und war weg.
Nach dieser Operation kamen vier weitere, und dann war klar, dass ich das Auge wieder würde benutzen können. Drei Jahre meines Lebens habe ich eine schwarze Augenklappe getragen. In der Zeit ging meine Beziehung mit Klaus den Bach runter. Er hatte viele gesellschaftliche Termine, auf denen er sein Gesicht zeigen musste, und ich hätte meins daneben halten müssen. Aber ich sah aus wie Moshe Dayahn und die Seeräuber-Jenny in Personalunion. Eine Einäugige, die es nicht einmal unter Vollblinden zur Königin gebracht hätte. So was konnte sich Klaus nicht leisten.
Fortan beobachtete ich zyklopenhaft aus der Single-Perspektive die sogenannten Liebesbeziehungen meiner Schwestern mit Schaden­freude.
Nora hatte einen Hallodri geheiratet. Er fuhr seinen Sportwagen zu Schrott und kaufte sich von Noras Geld einen neuen. Dann verließ er sie.

Jade war viele Jahre mit einem Malermeister zusammen. Er war ein hübscher Kerl, leider nicht sehr helle. Er liebte es, wenn immer es um berufliche oder Bildungsfragen ging, den Arm um Jade zu legen und gönnerhaft zu verkünden, „Na ja, unser Jadebusen hat ja nur Hauptschul­abschluss mit Dreikommasieben. Da kann ich mich mit meiner Dreikommavier doch sehen lassen.“ Dann schob er ihr seine Zunge ins Ohr, und wir hielten die Luft an und warteten darauf, dass Jades hysterisches Potential zu Tage träte. Aber Jade machte bloß schmale Lippen und zog kleine Fetzen trockener Haut von ihren Händen ab.

Katrin Vetters       20.01.2006       Print

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