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Konkursula und Insolvenzel
 

Ossietzky 18/2005

Kurt TucholskyDie WeltbühneSiegfried Jacobsohn


 
 
sind, schreibt Siegfried Jacobsohn im Dezember 1925 an Kurt Tucholsky, unsere »neuen deutschen Nationalheiligen« – aktueller geht’s nicht, diese ironische Zuspitzung trifft acht Jahrzehnte später auf die ökonomische Lage 2005 zu, ringsum häufen sich Konkurse und vor allem private Insolvenzen. Ein Verlust folgt auf den anderen, doch ist es immer ein Gewinn, Jacobsohn zu lesen, der am 5. September 1905 seine Schaubühne gründete und ab April 1918 unter dem Namen Weltbühne die wichtigste Wochenschrift der Weimarer Republik herausgab. Dazu bedurfte es tüchtiger Autoren, mit denen er munter korrespondierte, z.B. so: »Wenn Du zu denken anfängst, wirst Du gemeingefährlich.« Oder: »Manchmal begreife ich gar nicht, wie Du Dir in nunmehr elfjährigem Umgang mit mir dieses Maß von Dummheit hast erhalten können. Traurig, (...) daß ich mich (...) mit einem Kretin wie Du bist, abgeben muß.« Derart liebevoll geht es zu zwischen dem Weltbühne-Chef und dem berühmten, unter fünf Namen publizierenden Kurt Tucholsky. Notabene: Der »Kretin« war einer der intelligentesten, scharfsinnigsten Schriftsteller und Satiriker, die Deutschland je hervorgebracht hat. Es bestand also zwischen beiden eine sehr strapazierfähige Freundschaft, sie begann 1915 und währte bis zu Jacobsohns frühem Tod 1926. Hart aneinander geraten Autor und »Brotherr«, geht‘s um das verdammte Geld, Tucho fühlt sich stets unterbezahlt, Jacobsohn platzt im September 1922 der Kragen, obwohl der arme Mann ohnehin schon über sehr wenig Garderobe verfügt: »Sie haben einen Haufen Anzüge und Mäntel, ich habe einen Sommer- und einen Winteranzug und keinen Wintermantel, dafür aber auch kein Geld, mir einen zu kaufen.« Diese bittere Bilanz läuft noch per Sie, das Du folgte später. Ein Jahr zuvor betont Jacobsohn, die Weltbühne sei ein Blatt, das keinen »ausgesprochen verlegerischen Gewinncharakter« trägt, was mich an die Zeitschrift erinnert, in der diese Zeilen hier veröffentlicht werden.* Wir wissen, unser Ossietzky-Herausgeber und -Autor hortet auch kein Vermögen im Geldschrank, hoffen aber sehr, sein Kleiderschrank möge etwas üppiger gefüllt sein als der des bedauernswerten wintermantellosen Siegfried Jacobsohn. Was der sich zubilligte, war eine Behausung in Kampen auf Sylt, kein Luxus, sondern eine therapeutische Maßnahme, dort am Meer kriegte er besser und bessere Luft. Wie bei Tucho waren auch bei SJ die oberen Atemwege samt Stirnhöhle nicht in Ordnung, beide mußten deshalb häufig schmerzhafte Operationen über sich ergehen lassen.

Zufällig gedenkt der Spiegel gerade in diesen Wochen einer Reihe toter und lebender Journalisten, die eng mit der Insel verbunden waren und sind, der nationalkonservative Hans Zehrer wird genannt, nicht jedoch der früheste Sylt-Fan Jacobsohn, er war ja mit seiner Weltbühne auch bloß »Demokrat und Pazifist, Verfechter von Meinungsfreiheit und Völkerverständigung.« Dies die Inschrift einer im Jahr 2002 in Berlin, am Haus Dernburgersraße 57, enthüllten Edelstahlgedenktafel. Da freut man sich über die schöne Aktion der hauptstädtischen Bezirksverwaltung Charlottenburg und schüttelt den Kopf über den ehemals »im Zweifelsfall linken« Spiegel.

Ab August 1924 wird Tucholsky aus Kampen beauftragt, Carl von Ossietzky für die Weltbühne anzuwerben, Jacobsohn: »Nach seinen Artikeln zu urteilen, ist er ein sauberer Mensch.« Ein paar Wochen später schreibt SJ: »Mit C.v.O. ganz einverstanden. Er gefällt auch mir immer besser.« Inzwischen ist der Herausgeber wieder in Berlin, trifft sich mit Oss, der aber zögert mit der Zusage, arbeitet noch beim Tagebuch von Leopold Schwarzschild und Stefan Großmann, am 22. Januar 1926 vermeldet Jacobsohn von Charlottenburg aus: »Der Marquis v. O. war noch nicht do.« Im Februar endlich Besuch in der Redaktion, SJ an KT: »Ossietzkyn – die Sprache is nich von Pappe - schick ich morgen einen Vertragsentwurf (...) Er ist einer der größten Umstandskommissarien, die mir je begegnet sind.«

Im April 1926 ist die Sache perfekt, Oss gehört zur Weltbühne und die zu ihm. Sein langes Zaudern ist verständlich, ihm war klar, was er sich da auflud. Der Vollblut-Publizist wollte vor allem schreiben, Redaktionsbetrieb, Technik und Finanzen sowie Autoren-Betreuung entzückte ihn nicht gerade. Der Herausgeber par excellence, Jacobsohn, hatte selbstlos eigene schriftstellerische Ambitionen in die zweite und dritte Reihe gerückt, darin mochten ihm weder Tucho noch Oss folgen, was die Organsation der Wochenschrift komplizierte, aber ein Glück für die Leser dieser beiden wichtigen Autoren war. Jacobsohns jahrzehntelange Arbeit jedoch wirkte noch über seinen Tod hinaus, das »kleine rote Heft« hinterließ er so perfekt ausgestattet, daß es weder an Rang noch Bedeutung einbüßte. Der scharfsichtige und scharfzüngige Kurt Hiller definierte die Situation, wie beim C.v.O-Biographen Hermann Vinke nachzulesen ist, kurz und knapp: »Unter Ossietzky redigierte die Weltbühne gleichsam sich selbst.« Um so besser - es blieben dem tapferen, vorbildlichen Demokraten und Antimilitaristen sieben Jahre, in denen er unermüdlich gegen die braune Nazi-Pest anschrieb, ein Kampf, der ihn das Leben kostete, ihm aber den verdienten langen Nachruhm eintrug.

Ingrid Zwerenz


Zitate aus:
Siegfried Jacobsohn - Briefe an Kurt Tucholsky
Herausgeber: Richard von Soldenhoff

* Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Ingrid Zwerenz und der Zweiwochenzeitschrift Ossietzky 18/2005.

 

Ingrid Zwerenz
Aufsatz