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Géza Szöcs

Klausenburger Schrecken  –  Im Fluss

Klausenburger SchreckenKlausenburger SchreckenIm FlussIm Fluss

Eines von Géza Szöcs' Gedichten liebe ich besonders. Eines, das so ganz unspektakulär daherkommt, bescheiden, eher wie eine Tagebuchnotiz wirkend, wie eine kleine private Mitteilung auf einem Zettel auf dem Küchentisch. Ein Gedicht, das auf beinah alles verzichtet, was man an lyrischen Stilmitteln zum Einsatz bringen kann, einzig ein unaufdringlicher Zeilenumbruch und das Einrücken in der dritten Zeile deuten überhaupt auf eine Gestaltung hin. Der Gedanke an Metaphern kommt nicht auf; wenn man es liest, entsteht das Gefühl: So ist es gewesen. Genau so.

Aber schnell wieder vergessen, beiseite legen lässt sich diese kleine Notiz nicht. Sie hat Widerhaken, eine Sprengkraft wohnt dem unscheinbaren Textchen inne. Der Klausenburger Schrecken fährt in den Körper, löst Gänsehaut aus. Und beim zweiten Lesen kommt der Verdacht, dass gerade in der Einfachheit die Meisterschaft sprachlicher Gestaltung liegt. Wie hat er das gemacht, der Géza?

Klausenburger Schrecken

In einer Novembernacht war es, als ich, aus Angst vor einer
Haussuchung, ein Tonband in den Fluß warf. Mit  deiner
      Stimme;
du weißt schon, welches.
Das.

Später dann, eine lange Zeit noch, sooft ich über die
Szamosbrücke ging, hörte ich immer dich aus dem Wasser.

Ja, also das Tonband wirft er in den Fluss, aus Angst vor einer Haussuchung. Wo ist eigentlich Klausenburg? In Siebenbürgen, Rumänien. Das Gedicht ist aus dem Jahr 1983, als dort Ceausescu herrschte und die Securitate, einer der brutalsten Geheimdienste im ehemaligen Ostblock. Tausende Menschen kamen unter dem Regime zu Tode. Ein Tonband vermochte zu einem belastenden Beweisstück werden – oja. Besser weg mit dem Tonband, recht so. Aber dann: Mit deiner Stimme; du weißt schon, welches. Das. Zurückschrecken. Ein Gefühl, als hätten wir versehentlich in ein fremdes Tagebuch geschaut. Unerwartet werden wir zu Zeugen einer Szene, die uns gar nichts angeht. Dahin hat uns der Text geführt, mitten hinein in den intimsten Bereich zwischen dem Ich und dem Du. Und doch erfahren auch wir das Geheimnis nicht, nicht, was – du weißt schon – wirklich auf dem Tonband ist.

Es gibt keinen besseren Zündstoff für die Fantasie als dieses Heranführen, Andeuten und Doch-Verhüllen. Da greift uns der Text und zieht in die Tiefe und öffnet und öffnet, was immer wir uns ausmalen können. Wir spüren die verletzliche menschliche Zweisamkeit – ausgesetzt einem Regime, das in seiner Gewaltausübung nicht den geringsten Respekt kannte vor dem, was wir „Privatsphäre“ nennen. Der Schrecken beginnt nicht bei der Haussuchung, sondern bereits bei der Angst davor. Die dazu nötigt, etwas, was einem wertvoll ist, lieber wegzuwerfen als auszuliefern.

Später dann, eine Zeit lang noch sehe ich, wie Géza Szöcs über die Brücke geht, im Frühling, bei Hitze, bei Sturm, bei ruhig fließendem und bei gepeitschtem Wasser, im Dunkeln, im Morgengrauen ... und die Stimme, deine, wie sie aus dem Wasser heraus ruft, singt ... aber nein, auch das verrät der Text nicht, allein: Sie ist zu hören. Wieder das Aussparen, Verschweigen. Die bloße Tatsache hörte ich immer dich aus dem Wasser ist uns mitgeteilt, aber der ganze Rest bleibt offen. Läuft ein Gruseln über die Haut in dem Moment, wo du die Stimme hörst, versuchst du sie wegzuscheuchen mit einer Geste, entlarvst sie mit Hilfe des Intellekts als Halluzination, denkst du an Geister, an Wiedergänger? Nein, deine Stimme sie ist nicht totzukriegen, nicht das Tonband, der Fluss bewahrt sie nun, wirft Erinnerung herauf, trägt sie weiter, über die Grenzen ... oder ... um Gottes willen, kann der Spitzel hinter dir sie vielleicht auch hören? War das Wegwerfen vergebens? Der Fluss ist jetzt mehr als ein durch eine rumänische Stadt fließendes Gewässer (in einem anderen Gedicht von Géza Szöcs trägt die Donau eine Botschaft im Mund) und Géza Szöcs geht für viele andere über die Brücke, die Stimme aus dem Wasser ist mehr als die Worte der Geliebten, die Worte entfalten sich, sind doch Metaphern, erschließen das Schreckliche und das Tröstliche gleichermaßen.

Géza Szöcs, der von der Securitate gejagt wurde, mehrfach verhaftet, im Gefängnis misshandelt, unter Schreibverbot und Hausarrest stand, bevor er 1986 ins Schweizer Exil entkam, berichtet in diesem Gedicht nur diese kleine Geschichte vom Tonband im Fluss. Merkwürdig „harmlos“ auf dem Hintergrund der tatsächlich erlebten Gewalt und Schikanen. Doch gerade durch seine Aussparungen, das Nicht-Benennen lässt das Gedicht die ganze Grausamkeit dieser und jeder solcher Diktaturen wie aus einem Vexierbild heraus vor unserem Geist entstehen.

Bärbel Klässner

Géza Szöcs wurde 1953 als Angehöriger der ungarischen Minderheit in Rumänien geboren. Von 1986 bis 1989 im Schweizer Exil. 1991-1992 Gesandter des Demokratischen Bunds der Ungarn beim Europarat. Géza Szöcs lebt heute in Klausenburg.

Géza Szöcs
Lacht, wie ihr es versteht. Gedichte
Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke
Deutsche Erstausgabe
Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 2002

Géza Szöcs: Lacht, wie ihr es versteht
Autorenseiten FVA

 

Bärbel Klässner
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