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SCHUBERTS ABSCHIED AUS DRESDEN
Närrin, die du mich narrtest! – Meine Liebe ist so groß wie mein Haß.
(Paul Verlaine)   

Die wollen da einen Haufen Papier abwerfen.
(Die Chefin des Vereins „Dresdner Stadtjubiläum 2006“)

Der Pressesprecher der Landeshauptstadt erklärt auf Anfrage, daß eine Empfehlung zur Durchführung auch deshalb nicht gegeben werden konnte, da zu befürchten sei, daß der Abwurf von Papieren aus einem Helikopter gerade bei älteren Dresdnern Wunden aufreißt.
(Dresdner Neueste Nachrichten)

(Angesprochen war ein Gedicht-Regen über Dresden, initiiert von der chilenischen Zeitschrift Casa Grande, um „über die Kunst Orte zu entdämonisieren, die bombardiert wurden, ohne daß sie wirklich wichtige militärische Ziele waren“ – ein Regen von 100 000 Gedichten wie in Santiago de Chile, Dubrovnik, Guernica und Nagasaki wurde von der Stadt Dresden „in Absprache mit dem Ordnungsamt“ untersagt.)

Ich kam nur zu sehen
warum du fünf Wochen
nicht anriefst einzuschreiben
in die TODESFUGE
dich und mich…

Eine Frau sitzt im Zimmer
die spielt mit den Herzen
sie zählt wenn es dunkelt
                              bis dreißig

sie zählt mich dazu
was sie wachhielt
die Bitteren: Seine und Lethe
sind alt sie bewohnt
einen anderen Fluß

ICH MUßT' AUCH HEUTE WANDERN
VORBEI IN TIEFER NACHT

Sieh zu! ein goldener Reiter
eine Frau, die zählt
was sie wachhielt
sie zählt mich dazu
sieht zu ein goldener Reiter
Margaretens goldener Schweif
zählt sie bis dreißig den Gott
die Täter sie reiten sie reiten
die silberne Münze aufs Aug'

DA HAB' ICH NOCH IM DUNKEL
DIE AUGEN ZUGEMACHT

Mögen Frieden finden
die die Frau zählt
im Zimmer die Jäger
sie treiben zusammen
hinunter zum Fluß
was stand hielt

GEÖFFNET DIE TORE DES HIMMELS
UND FREIGELASSEN DER NACHTGEIST

Ich gab dir zu trinken was
bitter war und dich wachhielt
du trankst vom Fluß
trankst mit Übermut
den Wermuth inmitten der Flut

FREMD BIN ICH EINGEZOGEN
FREMD ZIEH' ICH WIEDER AUS

Vorm Arbeitsamt IV sieben Uhr
dreißig ritten in mein Schweigen
ich seh' zu mit der Münze im Aug'
mögen Frieden finden die sie
benannt die Frau sie zählt
im Zimmer bis dreißig wer
ist die Schönste im Land?

KRÄHE, LASS MICH ENDLICH
SEHN' TREUE BIS ZUM GRABE!

Ein Haus in dem Güttler bläst wird
dem eigenen Abgrund nachstürzen
es ist das Gesetz der Fanfaren
der Mauern du nahmst den Nachtwind
fort bezahltest mit falscher Münze
du hast die Stadt gerettet vor mir
ein stiller Durchreisender mein Herz
geopfert deiner deutschen Stadt aus
deren Himmel nie ein Gedicht fiel
ich bin dir begegnet
der schönen Faschistin

UND IMMER HÖRT' ICH 'S RAUSCHEN
DU FÄNDEST RUHE DORT

Möge Paul Celan Frieden finden
wo er ertrank von dort
nie abtreiben
nie abtreiben vom Sprung!

HERZ, WAS BIST DU
SO UNRUHIG!

(Franz Schubert ist nie in Dresden gewesen; die Zitate
von WILHELM MÜLLER, FRIEDRICH HÖLDERLIN
und PAUL CELAN habe ich auf ihren genauen Wortlaut
hin nicht mehr nachgeschlagen.)

September – Dezember 2004

Utz Rachowski      16.10.2006

Utz Rachowski
Lyrik