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Tom Schulz – Archiv



Begegnung in der Kastanienallee

die Tierversuche in den Auslagen
es grüßt Sie ihr eigener persönlicher Fuchs
in einer Maske aus Melkfett und bereinigten
Narben, es sangen und zogen, die Schwalben

der Bordsteine, die tausend Stimmen
ohne Grund, die vor dem Pillenknick
Bedampften, tief unter allen Poren
Karrieren aus regensaurem Ampfer

in der vervielfachten Stunde des
Unfühlbaren, geschwärzter Rabenabende
die ungezeugt Zeugnis ablegten
vor dem Mahnmal des unbekannten Schläfers

hielten die Morgen an wie unermessliche
Linienbusse, in denen die Tuppermütter
an der Endlosversion Schal strickten
bei den Tankstellenshops, wo die Heiße

Hexe hinein- und herauskomplimentierte
entsetztes Lid, liquidierter Orplid
die Frauenmäntel in einer nonverbalen
Abgeschiedenheit, warum es mich

immer wieder vor den Geburten
Pavillon drängt, in rostrote Überlieferung
(threnetisch) die Laubstaubsauger dröhnen
es herbstet, es krebst

vor dem Kaufdichglücklich
du, als getrennter Zwilling
wende den wirbellosen Nacken
zu jenem flaschengrünen Park

es werden nackte Schnecken, die barm
herzigen Schwestern, the barmy army
es werden geeiste Tropfen, Ampullen hernieder
gehen, Geliebte, die in den Harschbetten

die vielfingrige Beere auf das Gedächtnis
Portal gehoben haben, es werden die Zeugen
der Friedhöfe sehr lange vor dem Ausgang zum
Universellen Leben Schlange stehn



o Dorle, alle Geschichten

enden als Kofferträger, zwischen Himmel
und Erde, im flüchtigen Akt des nackten
realen Wahnsinns, geben Sie ihre Pin
Nummer ein
, tauschen sie den Wasser
Melonenmann, der die Wangen trocknet

die Tränen beziehen das Überbett, die Schlaf
Brillen blinzeln dazu, die Sterne sind Wagen
Standsanzeiger, wir liegen in Abteien
die uns erliegen, wir wiegen die Brust
die ihre Tränen in Legionen aussendet

an eine Schlüsselmutter, die den Absinth
verwünscht hat, mit den generalstabsmäßigen
Zähnen, immer wieder malmen malmen
die Nägel wund in den Steppbetten
ganz Filet, ganz bestimmt Fisch ohne Knochen

in Anbetracht des Taus waren wir Flüssige
du Weiche, du Weichgeköpfte, ich
zwei Minuten zu früh Aufgeschlagener
in einem Santiago, wo wir die streng
komponierten Reisenden einer Zwölfton
Musik in Jukeboxes, wir vereinzelte

konzessionslose Art-Deco-Kopisten
resümieren als Heiratsschwindler in Minne
Sängerkostümen, wir ausrangierten Fax
Weichen, wir liegen in Weichen
(mit dem Bahnhof trinken wir Nescafé
auf Eis, der Elsternkreditanstalt winken
wir hinterher)

o Dorle, die Nerven des Ozeans
leuchten aus dem Liebeslautbojengebiet
wie Antennen, zerpflückt, dass der Strand
Hafer wiehert, so glitzert Sewastopol
auf der Schallfolie, noch einmal die Video
Piraterie und dann wir, Hafenspieler
mit leicht veränderlichen Brauen, das Meer

hört nicht auf, hört nicht auf zu senden



Bitten für die Schweizergarde
wir hatten das Ersatzlos gezogen
das Land mit Zugang zum Meer
den Leuchtentwurf mit Landschaftprospekt

wir subrosa Agenten einer Rotverschiebung
wir zogen die Faust aus dem Jura
der Glaube an Einsiedler, Mörder Europas!

im Platzspitz rosteten die Kanülen
fröhlich vor sich hin, der See mit dem Gestade
wirkte elend für die Elenden ohne Steg

auf dem fanalen Zubringer stoppten wir
das lichtdurchflutete Cabrio, in dem eine Frau
mit zwei Herzen saß

der Sommer wog knapp zwanzig Gramm
gut verschnitten, die Melancholietaschentücher
halfen gegen die allergene Gefahr
(den Sonntag wußten wir in todchiquen Sneakers
der bestaunenswerte Himmel über den Dächern
stand uns gut) 
  das Gefängnis Schweiz
das laufende Schrift wurde; wir tauchten die Finger
in den Brustkasten, die Szenerie brachte neue Menschen
hervor; einer höheren Macht waren die Kursabfälle
geschuldet, wir verloren dreisiebtel Genußscheine

auf diesem ph-neutral deutlichen Mutterboden
der Parcours Welt, in dem die Ansichtskarten
ankommen, die retourniert, Sterne an die Liebes-
firma kleben; 
  so baten wir zu den Radarfallen
wir beteten mit dem Flüsterasphalt:
laß die Rentiere frei, die kleinen Brüter

die Termingeschäfte schlossen beizeiten
die Scholastiker schritten vorbei, wir zeichneten
gegen, Hochachtungsvoll, nach Dikat verreist

(für Laurenz Bolliger)



Nach einem alten Lied
soll ich Salmiak kaufen oder Seife
den Sex eintauschen gegen das Spielzeug
mit dem ich in das Kind zurückkehre

soll ich Soda kaufen oder die Koda
einer Frau begleiten, das Kind mit dem Brunnen
auskippen, soll ich Stereoide kaufen

vor der Monopause, noch rasch
in die Gefühlsweltbank, soll ich
soll ich streichen, das Kind

zappelnd in der Hirnblase, das Sex
Spielzeug tief in der Kehle, soll ich
die Steinfrau erweichen

soll ich mit der Nachbarschaft
in das Polizeiwagen-Diskolicht
soll ich tanzen ins Himmelreich
mit dem Halbnotbruder

soll ich mich auf die Seite
des Weiblichen legen / als Minus
Säuger in einer Menagerie
beheizter Eiszeit wegen

vor dem Lamento aus dem Trieb
der Buche / 
  soll ich nach dem Swingclub
in die Freudianerhäuser

soll ich Samt kaufen oder Salpeter
in dieser leberwurstfarbenen Boutique



Archiv 09.02.2010

Tom Schulz
Lyrik – Archiv
  • Begegnung in der Kastanienallee
  • o Dorle, alle Geschichten
  • Bitten für die Schweizergarde
  • Nach einem alten Lied
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