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Matias Faldbakken
Unfun – Macht und Rebel – The Cocka Hola Company

Slave of the system master of the flesh.
Faldbakkens skandinavische Misanthropie in drei Romanen
Kritik
  Matias Faldbakken
Unfun
Roman
Blumenbar 2009
270 Seiten, 19.90 Euro


„Schlagt euch die fucking europäischen Großstädte aus dem Kopf.“ Ist das nicht ein Stück nach­voll­ziehbar? Angenommen man sitzt in einem Café in einer dieser Groß­städte, um einen herum schlürfen schöne junge Menschen Latte macchiato und sprechen über ihre Kultur­projekte. Dann entdeckt man, dass der Cappuccino­schaum mit einer filigranen Blume verziert ist, und auf Nach­frage beim Kellner bekommt man zu hören, dass das seine „latte brand“ sei. Wer an diesem Punkt „Zum Kotzen!“ denkt, ist schon mittendrin in Matias Faldbakkens Trilogie, die mit Skandinavische Misanthropie unter­titelt ist und deren dritter Band Unfun kürzlich bei Blumenbar erschien.

Den ersten beiden Romanen The Cocka Hola Company und Macht und Rebel merkt man deutlich an, dass ihr Autor aus der bildenden Kunst kommt: Neben der vulgären Sprache wird einem schnell klar, dass es hier vor allem um die radikale Durch­führung seiner strin­genten Misan­thropie geht und nicht darum, sich sprachlich in das Genre Roman einzuschreiben. Was man schnell als Mangel sehen könnte, erweist sich ob der Frische und Radikalität mit der Faldbakken sich in das Unter­nehmen stürzt als Freude am Experiment, deren Kraft die Roman­landschaft definitiv aufmischt.

Größere Lust am Erzählen zeigt sich gleich zu Beginn im dritten Roman Unfun: Wo die ersten Romane direkt mit einer Pene­tration beginnen, die von hetero­nor­mati­ven Vor­stel­lungen radikal abweichen, ist im dritten Roman eine detail­lierte Raum­be­schrei­bung vor­geschaltet, bevor in den Körper der Erzäh­lerin einge­drungen wird. Die Pene­tration folgt im zweiten Kapitel mit dem Titel: Patsch. Spuck. Vier Finger.

Ohne die drei Szenen, in denen Gurke, Dildo und DV-Kameras als Statisten auftreten, genauer zu beschreiben, ist eines klar: Es geht um Provo­kation, Grenz­über­schrei­tung, Rebellion. – Abge­schmackt mag man sich denken: Provokation durch Sex und Gewalt. – Würde nicht die Roman­figuren genau das umtreiben: Wie entkommt man der überall in Form von Marken­emblemen anwesenden Massen­kultur? Simpel, Protagonist in The Cocka Hola Company, dessen Meinung über die euro­päischen Städte wir zu beginn hörten, formuliert es so: „… wir hatten ein paar Sachen scheiß über. Ja, eigentlich zwei Sachen. Einmal, dass die Leute die ganze verdammte Zeit übers Geld jam­mern, dass alles so teuer ist und dass es vorne und hinten nicht reicht und so. … Und das andere, wovon wir die Schnauzte voll hatten, das war der Rest der Welt.“ Wie man Lust und Geld zusammen­bringt ist einfach: Man produziert Pornos – für und gegen den Rest der Welt.

Wo Porno in der ersten Misanthropie die scheinbare Lösung gegen die abge­schmackten Werte der bürger­lichen Gesellschaft ist, stellt sich in Macht und Rebel direkt die Frage, wie man sich von der Massenkultur absetzt. Von einer postmodernen Guerilla werden im Osloer Untergrund gefälschte Nike-Schuhe verkauft, die natürlich wesentlich cooler sind als die Originale. Spätestens an dem Punkt an dem Nike sich in das Geschäft mit den Fäl­schungen seiner eigenen Produkte einmischt ist klar, wer der Sieger ist.

Später schlägt sich eben diese Guerilla mit Ein­wanderer­kindern, die sich die Marken­zeichen schlechthin auf ihre Ober­körper tätowiert haben: Haken­kreuze und SS-Runen. Und worum geht es dabei? – Ursprüng­lich um den Kampf gegen ein unmora­lisches, nur auf Profit ausgerich­tetes Unter­nehmen. Während der Straßen­schlacht, stehen die Drahtzieher, die sich schon längst mit den ange­feindeten Konzernen verbündet haben, auf einer edlen Konzern­dach­terrasse und genießen mit ihren minder­jährigen Freun­dinnen im Arm die siegesgewissen Drinks.

Der Sklaverei der Masse entkommt keiner und genau darauf reagiert der dritte Roman Unfun. „Slave of the system master of the flesh.“ Das ist Mbo, ein Koloss von einem Afrikaner, der in der rassis­tischen europä­ischen Gesell­schaft seinen Platz eingenommen hat: Im Herzen der europäischen Kulturmetropolen, Paris, steht er mit Tinnitus und Staublunge – Folgen der Schutz­bestimmungen, die nur für Weiße gelten – die Steinsäge „Tuck“ in der Hand auf der Straße und sieht angelinkste Studenten vorbeilaufen, die sich über Marxismus, das Scheitern der Linken und den wahren Fortschritt unterhalten. Bobos und Straßenarbeiter? Schwarze und Weiße? Steinsäge Tuck und schicke Lederschuhe? Die Rechnung geht auf: Im Computerspiel „Deathbox“, das der selbsternannte Gewalt­intellek­tuelle Slaktus realisieren will, ist der Spieler nach dem Vorspann Mbo: In Ego­shooter­perspektive kann er mit Steinsäge Tuck in der Hand tun und lassen was er will.

Wie das Computerspiel als Egoshooter anfängt, endet Unfun mit einem brutalen Gewaltakt aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Lucy…
  Und der Leser? Sollen wir uns nun darüber empören, dass uns als einziger Ausweg Porno, Gewalt und Nazisymbolik bleiben? Wir sehen vom Feuilleton zu den Latte-macchiato-Trinkern um uns auf, denken an Sade, Bataille, die Logik der Überschreitung und fragen uns, was das Ganze eigentlich soll. Dann, zum Schluss des dritten Romans, erinnern uns die Falsch­geldberge, mit denen das letzte Blut aufgewischt wird, daran, dass Fiktion Fiktion bleibt: Und gerade deshalb sollte man Faldbakkens Trilogie lesen und voll auf die falsche Wirklichkeit spekulieren, die uns die Misan­thropie gibt.
Tillmann Severin   09.01.2010   
Tilmann Severin
Prosa
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