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Münchner Reden zur Poesien
Herausgegeben von Ursula Haeusgen, später von Maria Gazzetti und ab 2014 von Holger Pils, jeweils mit Frieder von Ammon
Publikationen im Lyrik Kabinett München
Redaktion im poetenladen: Walter Fabian Schmid und Daniel Bayerstorfer

Liste der Reden   ↓

 

Jakob Hessing
Abtauchen in die Versunkenheit

Walter Fabian Schmid zu Jakob Hessings Poesierede

»Ich bin kein Dichter, der immer gewärtig sein muss, dass man ihn nach dem Sinn seines Tuns fragt«, beginnt Jakob Hessing am 09. Mai 2018 seine Rede »Auf der Grenze« und wirft einen erhellenden Aussenblick auf die Lyrik. Hier sinniert kein Lyriker über das dichterische Schaffen, sondern Hessing als Übersetzer und Herausgeber des »Jüdischen Almanachs« durchwandert essayistisch und selbstreflexiv die Lyrik als eine Art involvierter Rezipient.

Als Kulturvermittler geht es ihm um eine Rückeroberung der eigenen jüdischen Identität und den Wandel des Judentums im 20. Jahrhundert. Die Herausarbeitung eines deutsch-jüdischen Selbstbewusstseins ist aber ein innerer Kampf. Im 20. Jahrhundert wurde so viel Tradition vernichtet, dass Jakob Hessing selbst nicht mehr herankommt. Er steht an der Grenzen zwischen dem Deutschen und Hebräischen, zwischen der eigenen Säkularisierung und der Tradition. Hessing kann diese Brücke nicht mehr schlagen und arbeitet sich am eigenen Verlust ab.

Dabei setzt er immer bei sich selbst an. Bei dem, was er am eigenen Leib erfahren hat. Seine Faszination für den israelischen Nationaldichter Chaim Nachman Bialik und wie er sich dessen sakrale Referenzen angeeignet hat oder die persönliche Betroffenheit über die heuchlerisch und perfide empfundene Rede von Gottfried Benn 1952 im Berliner British Centre. Hessing prangert hier vor allem die »Seinsgemeinschaft« des Jüdischen und des Deutschen an, die der gebräunte Benn über Else Lasker-Schülers Lyrik konstatiert. Als deren Biograph kann Jakob Hessing aus den Vollen schöpfen, nähert sich der Poesie aber stets über die persönliche Disposition und weniger über die Texte. So macht er mit seiner Rede eine sehr zwischenmenschliche Poesieerfahrung erlebbar. Autobiographisch und kulturvermittelnd zugleich.

 

11.07.2018

 

Jakob Hessing

„Als ich, völlig unverhofft, die Einladung erhielt, heute Abend vor Ihnen über Lyrik zu sprechen, freute mich das sehr, und ich bedanke mich dafür ...“



mp3-Audiodatei (Download)

 

  Münchner Reden zur Poesie
Jakob Hessing
Auf der Grenze
Eine autobiographische Wanderung
Herausgegeben von Holger Pils u. Frieder von Ammon
Lyrik Kabinett, 2018
ISBN 978-3938776490


Zur Reihe im Lyrik Kabinett  ►

 

Jakob Hessing, geboren 1944 in Lyssowce (Oberschlesien) als Sohn einer jüdischen Familie, wuchs in Berlin auf und wanderte als 20-Jähriger nach Israel aus. Ab 1992 lehrte er an der Hebräischen Universität Jerusalem und leitete ab 2004 bis zu seiner Emeritierung deren Germanistische Abteilung. Artikel von ihm erscheinen seit den 1990er Jahren regelmäßig in der FAZ und im Merkur. Seine Publikationen beschäftigen sich u.a. mit Else Lasker-Schüler, Sigmund Freud, Heinrich Heine, Franz Kafka, Paul Celan u.v.a.