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Nautilus

Das Perlboot, gekammert, ein Zeichen.
Wie Stein oder Vogel, Mondsichel, Meer
oder Hände. Es lebte, als dies Gehäuse
in Wassern schwebte, ein Tintenfisch
in seiner Schale, ein Tintenfisch, doch
ohne Tinte. Die Kammern mit Gas gefüllt,
das läßt sich im Deutschen ja kaum noch
beschreiben. So konnte das Wesen, nicht
Fisch, keine Tinte, die Tiefe bestimmen,
in der es sich aufhalten wollte, die Höhe
über dem Grund. Kein Nemo an Bord.
Kein technischer Rückzug in einsame
Tiefen. Sondern ein Ausloten, ein sich
Hinabsinkenlassen, ein Gründeln im
Dunklen bei Schlingen und Schlangen,
ein Aufsteigen, lichteren Schichten
entgegen. Der leise Geschmack eines
Namens, tiefenerprobt auf der Zunge.
Der die Rückkehr erleichtert. Hinab?
Hinauf? Das gekammerte Perlboot,
trudelnd, taumelnd und torkelnd, Haus
eines Wanderers, Zelt unter Sternen,
den Wasserreflexen an seinem Himmel,
der sturmkrausen Fläche des Meeres.
Das Perlboot, ein Wind der sich windet
in Wüsten, in sich hinein und aus sich
heraus. Ein Kind, das schon spricht und
dennoch im Schweigen behaust ist. Ein
Tauchgang nach innen, eine Wendung
zurück. Eine die Weite ermessende Uhr.
Ein Mund, der hinausruft ins Offene.

Mathias Jeschke   22.11.2006

Mathias Jeschke
Lyrik