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Trümmerland

Irgendwann, dachte Sebastian, werde ich schon dahinter kommen.
Warum zerbrach mein Leben, als es am besten war? Er stützte die Hände unter das Kinn und sah zum Himmel hinauf. In dem Wintergrau flogen Raben, zogen Kreise über der Siedlung, krächzten und gingen irgendwo nieder, wo Sebastians Blick ihnen nicht mehr folgen konnte. Dämliche Vögel, sagte er. Sie muntern mich nicht auf, sie sind schwarz und dumpf. Totenvögel über einem Trümmerland, das sind sie und mein Herz ist das Land und meine Seele ist das Land und Maria ist schuld an dem, was aus mir geworden ist.

Wo ist meine Flasche? Kurz stieß sein Blick noch einmal gegen die Scheibe, dann wandte er sich dem Kühlschrank zu. Saufen ist keine Lösung, dachte er und verwarf den Gedanken sofort: Es gibt keine Lösung. Frauen sind Bücher mit sieben Siegeln, ihre Münder lächeln dich an und versprechen Liebe. Ihre Ohren wollen nur von Liebe hören, immer wieder. Frauen pressen die Liebe aus dir heraus, wie Lösegeld, gib mir und nimm dir von mir und verlass mich nicht, lieb keine Andere, finde mich schön und wenn du jahrelang Ja und Amen sagst, dann lassen sie dich stehen wie einen alten Schirm, verdammte Weiber, verdammte! Aber warum? Was hatte er getan?

Ich habe nichts getan. Ich war immer anständig, habe das Geld herangeschafft für ihre Wünsche. Madame hatte ja nicht, was sie wollte, ihr Verlangen nach Meer war so gründlich, jeden Morgen trank sie davon, dass es ihr irgendwann nicht mehr schmeckte, einen Ozean wollte sie nun leerschlürfen, gut denn ... aber nicht mit ihm. Wenn es ihr darum ging, dann konnte sie ihn wohl nicht geliebt haben, nicht wirklich zumindest.

Sebastian setzte die Flasche an. Er gönnte sich einen kräftigen Schluck. Was soll es, sagte er dann laut zu sich selbst, andere Mütter haben auch schöne Töchter, schönere vielleicht sogar, was war denn schon dran an Maria? Ihre Beine waren zu knochig und wenn er sie mal von hinten nahm, was selten erlaubt war, dann wirkte ihr Po wie der eingekniffene Schwanz eines Köters, ängstlich, kalt... ach nee, das hatte ihm keinen Spaß gemacht.

Eine Frau sollte Feuer haben, Temperament, wie die Weiber unterm Zuckerhut. Die konnten sich bewegen. Oft hatte er sie im Fernsehen bewundert, wenn sie Karneval feierten, halbnackt, mit wehenden Haaren und bebenden Brüsten, tanzten sie herrlich.

Und Maria hatte neben ihm auf dem Sofa gesessen mit zusammengepressten Lippen, müden Augen und mit mausetoten Haaren, die ein Gummi straff zurückzog, da war nix mit Samba! Er lachte und trank noch einmal.

Nee, gesagt hatte er nie etwas. Er beleidigte eine Frau nicht. Für ihn war alles gut, solange es ruhig und harmonisch blieb. Schließlich wusste er, was sich gehört und wie man Frauen behandelt. Nur, warum war sie jetzt weg? Sebastian zuckte die Achseln und ging in das Wohnzimmer hinüber.

Dort griff er nach der Fernbedienung, ließ sich auf der Couch nieder und schaltete den Fernseher ein. Er trank und sah, glotzte und soff, bis der Abend vorüber wa. Dann musste er mal und ging mit leicht wankenden Schritten ins Badezimmer.

Im Spiegel sah ihm ein alter Mann entgegen, einer den er weder mochte noch kennen lernen wollte. Gute Nacht, sagte er zu ihm und suchte wieder seinen Platz vor dem Fernseher auf. Dort würde er einschlafen, beschloss er. Wozu sollte er das Bett in Unordnung bringen?

Maria hatte es frisch bezogen, dann ging sie fort.
Gewissenhaft war sie, das musste man ihr lassen, überlegte er und grinste schief. Dann dachte er an die tausend kleinen Handgriffe, die sie für ihn getan hatte, immer besorgt, immer fleißig wie eine Mutter. Aber sie war nicht seine Mutter. Sie hätte seine Frau sein können, warum war sie das nie geworden? Er wusste es nicht. Vielleicht fehlte es ihnen beiden an Leidenschaft? Sie waren keine Menschen vom Zuckerhut, sie waren zu weiß, zu blass, zu unbeweglich, sie lebten zusammen wie aus Beton gegossen, in dieser Siedlung aus Schuhkartons, die jeden Traum im Keim erstickte.

Maria, sagte er und ihm fiel zum ersten Mal auf, wie viel Reiz dieser Name verströmte. Maria, das klang doch nach Samba, nach Wärme und Feuer.
Ein heiliger Name, Maria, seine Maria, seine Göttin war fort. Und eine Träne sprang aus seinem linken Auge, traf die Flasche und rann am Etikett entlang, um irgendwo vor ihm auf dem Boden zu landen.

Sebastian schleuderte überrascht die Flasche von sich, bereit, seinen Gefühlen zu folgen. Er weinte, weinte um sein Glück, das er irgendwo zwischen Sofa, Kühlschrank und Ehebett verpasst hatte.

Maria, wer bist du denn, keuchte er.

Dann sah er sich um, sah die karge Einrichtung, sah sich selbst auf dem Sofa sitzen, gestrandet in einem sinnlosen Rausch.
Er schüttelte ungläubig den Kopf: Mein Trümmerland, flüsterte er und wischte mit seinem Ärmel über sein Gesicht.

Kasoma
Prosa