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Jens Wonneberger
Der Kohlenhändler
Es sei wie immer gewesen, sagten die alten Frauen nach dem Begräbnis des Kohlenhändlers, man hätte glauben können, dass der Kohlenhändler noch lebe und jeden Moment um die Ecke komme mit seinem Karren, dessen schwere, eisenbeschlagene Räder man ganz deutlich über den Kies habe knirschen hören können, und tatsächlich sei der zweirädrige Karren dann auch um die Ecke gebogen, gezogen von einem Mann im schwarzen Anzug, wie ja auch der Kohlenhändler immer einen schwarzen Arbeitsanzug angehabt habe, nur dass die Ladung diesmal eine andere gewesen sei, denn statt der kohlenstaubgeschwärzten Säcke habe sich der Sarg des Kohlenhändlers auf dem Karren befunden. Ein schwarzer, glänzender Sarg, sagten die Frauen, man könne sich wirklich keinen besseren Sarg für einen Kohlenhändler vorstellen. Der Karren aber habe sich viel leichter bewegen lassen, der Mann, der den Karren gezogen habe, sei aufrecht gegangen, ja geradezu, die Deichsel locker in der Hand, geschritten, während der Kohlenhändler sich mittels eines breiten, quer über die Brust gelegten Gurtes habe immer vor den Karren spannen müssen, vornübergebeugt sei er gelaufen, die klobigen Schuhe gegen den Boden stemmend oder, wenn es bergab ging, sich mit aller Kraft rücklings gegen den Karren bäumend, und dennoch habe der Kohlenhändler immer gelacht, während der Mann mit dem Sarg ein ernstes und würdevolles Gesicht gehabt habe wie bei einem Begräbnis. Es sei ja auch ein Begräbnis gewesen, nur habe man beim Begräbnis des Kohlenhändlers immer an den Kohlenhändler denken müssen; der Kohlenhändler lebe noch, habe man angesichts des Karrens immerzu denken müssen. Und man habe sich gut vorstellen können, wie der Kohlenhändler sich den Sarg auf den breiten Rücken packen und ohne zu schwanken damit die steilen Kellertreppen heruntersteigen würde, während doch die vier Männer Mühe gehabt hätten, den Sarg des Kohlenhändlers vom Karren zu ziehen und die paar Schritte bis zur ausgehobenen Grube nur mit Anstrengung haben zurücklegen können. Zwei, drei Doppelzentner, mehr könne so ein Sarg doch gar nicht wiegen, mutmaßten die Frauen. Schon bei seinem Begräbnis fehle der Kohlenhändler an allen Ecken und Enden, man wisse gar nicht, was denn nun werden solle. Was hätte das für ein Begräbnis werden können, hätte der Kohlenhändler noch gelebt, denn nie habe der Kohlenhändler die schweren Säcke ohne einen Scherz in den Keller getragen, ein lustiger Mensch sei er gewesen der Kohlenhändler, sagten die alten Frauen. Er könne sich keine besseren Briketts vorstellen als seine Lungen, habe der Kohlenhändler einmal gesagt, erinnerte sich eine der Frauen, bei seiner Feuerbestattung, habe der Kohlenhändler gesagt, könne man sich jede Zufeuerung sparen. Es sei völlig unverständlich, dass man den Kohlenhändler beerdigt habe, waren sich die drei Frauen einig, schließlich habe man den Wunsch eines Verstorbenen, also auch des verstorbenen Kohlenhändlers, zu respektieren. Was denn nun werden solle, haben sich die alten Frauen immer wieder gefragt, nun, da der Kohlenhändler tot sei, nie habe man daran gedacht, dass der Kohlenhändler eines Tages tot sein könnte. Schließlich sei er nie krank gewesen, solange man denken könne habe der Kohlenhändler des Kohlenhändlers Aufgabe zur Zufriedenheit aller erfüllt, wie schon vorher der Vater des Kohlenhändlers, ja es sei nicht auszuschließen, erwogen die Frauen, dass der Karren mit den eisenbeschlagenen Rädern sogar schon dessen Vater treue Dienste geleistet habe. Nun aber sei durch den plötzlichen Tod des Kohlenhändlers der gesamte Kohlenhandel von einem Tag auf den anderen zusammengebrochen. Auch als der Sarg endlich in der Grube war sei die Erinnerung an den Kohlenhändler keineswegs erloschen, denn als die Erde auf den Sarg polterte, habe man sich sofort und unweigerlich an das Leeren der Kohlensäcke erinnert gefühlt. Der Kohlenhändler habe die Säcke über der Schütte geleert, der Kohlenhändler habe sich dabei umgesehen und in das Grollen der Kohlen hinein zu den Frauen gesprochen. In die aufsteigende Staubwolke hinein habe er gesprochen und gelacht, so dass die Zähne zwischen den schwarzgeränderten Lippen aufgeblitzt seien. Die Frauen waren sich sofort einig, dass der Kohlenhändler die allergesündesten, allerweißesten Zähne gehabt habe. Ein Gebiss wie ein Neger, sagte eine der Frauen, und Kraft wie ein Pferd. Die Bronchien, habe es geheißen, sagten die Frauen, nicht auszudenken, ein Mann wie ein Pferd und dann sollen ihn die Bronchien zur Strecke gebracht haben. Eine der Frauen begann zu husten und schüttelte dabei immer wieder den Kopf. Dieses eigentümliche Rattern der eisenbeschlagenen Räder auf dem Straßenpflaster gehe ihr nicht aus dem Kopf, sagte sie, dieses Knirschen im Sand, bestätigte die andere, während die Dritte sich an ein Ächzen erinnern konnte, alles habe geächzt und gequietscht, die Räder, der Karren, auch der Kohlenhändler, ein merkwürdiges Ächzen sei das gewesen, als breche alles jeden Moment zusammen. Aber nie sei irgendetwas zusammengebrochen, die Räder nicht, der Karren nicht, der Kohlenhändler erst recht nicht, und nun das, die Bronchien, nun ja, da stecke eben keiner drin. Es sei wie immer gewesen, sagten die alten Frauen nach dem Begräbnis des Kohlenhändlers, man hätte glauben können, dass der Kohlenhändler noch lebe und jeden Moment um die Ecke komme mit seinem Karren.

 

Jens Wonneberger   28.07.2007  

Jens Wonneberger
Prosa
Gespräch