poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Kathrin Passig, Sascha Lobo
Internet – Segen oder Fluch

Viel Wissen, wenig Brillanz


Kathrin Passig und Sascha Lobo schreiben über das Netz
Kritik
  Kathrin Passig, Sascha Lobo
Internet. Segen oder Fluch
Sachbuch
Rowohlt Berlin 2012
   


Möchte man sich fundiert über das Internet und dessen Entwicklung informieren, muss man – so überraschend es klingt – zum Buch greifen. Was im Netz selbst über das Medium zu lesen ist, hat in der Regel den Charakter einer News à la Macht-das-Internet-Dumm?, dazu viel Bruch­stück­haftes aus Blogs oder schlecht Recher­chiertes aus der Tastatur von Hobby­redak­teuren. Halbwegs Intel­ligen­tes findet man allen­falls als Zitat aus Print­medien, als trauten die Internet­theoretiker ihrem eigenen Medium nicht so recht.

So sind auch die Betrachtungen von Kathrin Passig und Sascha Lobo unter dem Titel Internet – Segen oder Fluch als Buch erschienen. Wer mag, darf sich als Buchkäufer per Code kostenlos die E-Book-Version herunterladen. Die beiden Re­prä­sen­tanten der Netz-Avantgarde verweisen in ihrer Einleitung selbst auf diesen Wider­spruch. Wie auch immer: In 16 Kapitel behandeln sie Themen und Problema­tiken rund ums neue Medium und bieten eine kompakte, informative Samm­lung über alles, was man über das neue Medium wissen möchte oder sollte.

Hoch aktuell sind die Fragen zum Urheberrecht – von der simplen Abmahnung des Bloggers bis hin zur Musik­industrie und der im Umbruch befindlichen Medien­land­schaft. Man denke ans Nachrichten­magazin Newsweek, das in guten Zeiten drei Millionen Exem­plare wöchent­lich auflegte und seine Print­ausgabe nun einge­stellt hat. Es folgen Kapitel über Schwarm­intel­ligenz und Infor­mations­über­flutung, über digitale Demokratie und Social Network, sprich Facebook, Twitter und Co. Zentral auch, was sich unter der Rubrik Filtertechniken zusammen­fassen lässt. Wie gut und umfassend informiert uns das Netz (siehe oben), wie ver­lässlich sind die Ergeb­nisse, die uns Google zuspielt, wer bestimmt bei Yahoo oder bei Wikipedia, was relevant ist und was nicht?

Wie stark die Informations­technik die reale Welt verändert, wird im Kapitel über die Disruption erörtert. Hier geht es um die Ablösung alter Techno­logien durch revo­lutionär neue mit all den einher­gehenden Verwerfungen. Ein frühes Beispiel sind die Weber­aufstände des 18. und 19. Jahr­hunderts, deren Ursache neue Techniken und erheb­lich günstigere Fabrikations­mög­lich­keiten waren. Ein kleines Beispiel aus jüngs­ter Ver­gangen­heit: Her­steller von 8-Zoll- oder 3,5-Zoll-Lauf­werken schafften nicht den nächs­ten Evolu­tions­schritt und gingen mit dem Erfolg der beschreib­baren CD und des USB-Sticks unter. So krempelt das Netz weltweit ganze Berufs­stände und Indu­strien um – Ende offen.

Macht das Netz einsam? Die Autoren drehen den Spieß einmal um: Wie sähe es aus, wenn gerade das Buch erfunden wäre. Kinder und Jugendliche zögen sich mit Büchern in ihr Zimmer zurück. Die Eltern, ohne Bücher aufgewachsen, wären alarmiert angesichts der neuen, ganz und gar unsozialen Mode. Sie fürchteten die Vereinsamung ihrer Kinder, Haltungs­schäden, Augen­krankheiten, Kommuni­kations­losig­keit, Bewegungs­mangel und am Ende die Depression. Natürlich darf hier nicht die These fehlen, dass jene Menschen, die intensiv Kontakte im Nerz aufbauen, auch im realen Leben keine Misan­thropen sind.

Wer allerdings mehr erwartet als gute Infor­mationen, könnte von diesem Buch ent­täuscht werden. Schon der Unter­titel Segen oder Fluch klingt etwas schulisch So erinnert das Ver­fahren der Autoren auch an die gute alte Erörte­rung, wo solange das eine gegen das andere abgewogen wird, bis man zum un­vermeid­lichen Ja-aber kommt. Es fehlt Zuspitzung, Bekenntnis, Über­zeugungs­kraft und auch sprach­licher Esprit. Wenn die ZEIT in einem Zitat auf dem Schutzumschlag Kathrin Passig als intellektuellste Analy­tikerin des Medien­wandels preist, kann eigentlich nicht die Mit­autorin des Buches gemeint sein. Von Philo­sophie und Intel­lektua­lität scheint man weit entfernt, vieles ist aus dem Augenblick geschrieben und wird in wenigen Jahren von der (Medien-)Geschichte überholt sein. Vielleicht mangelt es den „Internet­vor­reitern“ Passig und Lobo einfach an Distanz zum tur­bulenten Internet­alltag. Viel Wissen also, wenig Brillanz. Rüstzeug für aktuelle De­batten: ja. Neue Einsichten: nein.

 

Andreas Heidtmann    26.10.2012   

 

 
Andreas Heidtmann
Gespräch
Kolumne
Zettel
Musik