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Kolumne von Andreas Heidtmann
Der Autor der Zukunft oder
For Whom the Bell Tolls

Es gab sie, Literaten mit Beruf und Erfahrung jenseits der Literatur. Gottfried Benn und Alfred Döblin, William Carlos Williams und Arthur Schnitzler waren praktizierende Ärzte. Ein gewisser Franz Kafka arbeitete als Jurist, und nicht zufällig heißt einer der bedeutendsten Romane der Weltliteratur Der Prozess. Der Autor der Elixiere des Teufels brachte es mit vorzüglichen Zeugnissen bis zum Kammergerichtsrat und war obendrein Komponist. Nicht nur E.T.A. Hoffmann, auch Goethe und Schiller waren vom Fach.

Es ist schwer, einen Beruf zu finden, den Autoren nicht ausübten. William Faulkner gründete eine Eisenbahnlinie, Max Frisch entwarf ein Schwimmbad und Gertrude Stein arbeitete in einer Entbindungsanstalt. Und wer hat nicht alles als Liftboy, Kellner, Fabrikarbeiter, Landarbeiter und Totengräber sein Geld verdient?

Viele hatten das Pech – oder das Glück? – in Umbruchzeiten hineingeboren zu werden. Aufstände und Revolten schlugen sich in dem nieder, was sie schrieben. Was wäre die Prosa eines Böll oder Grass ohne die Schilderung der grausamen Kriegserlebnisse, was Hemingway ohne die Reportagen über den Spanischen Bürgerkrieg. Andere ließen sich durch Ideen beflügeln. Und wer nicht an politische Umwälzungen glaubte, glaubte zumindest ans literarische Experiment.

Der Autor der Zukunft kann und wird sich Unbill und Umwege dieser Art ersparen. Seine Literatur schöpft weniger aus Berufsalltag, großen Ideen oder existenziellen Erlebnissen als vielmehr aus der Schreibpraxis. Die Vita des Zukunftsschriftstellers gleich der Vita eines Wissenschaftlers mit dem Studium von Fächer wie Germanistik, Literatur- und Theaterwissenschaft oder Medienwissenschaft, Publizistik und Kulturwissenschaft. Besser noch lernt der zukünftige Autor sein Handwerk in Literaturinstituten oder -werkstätten. In Prosaseminaren debattiert er mit seinesgleichen. Was für eine Vorstellung, als Arzt für Geschlechtskrankheiten zu arbeiten oder als Reporter von Bürgerkriegen zu berichten und sich in literaturfernen Gefilden aufzureiben, während Kollegen Preise absahnen, zu denen man nicht pünktlich seine Texte einliefert. Schön dumm!

Dass ein approbierter Apotheker mit 58 Jahren als Romancier debütiert und die Literatur nachhaltig beeinflusst, wird nicht wieder vorkommen. Fontane ist Literaturgeschichte. Nicht anders als Hilde Domin, die ihre ersten Gedichte mit knapp 50 herausbrachte. Welcher Verlag der Zukunft wird eine fünfzigjährige Dichterin als Debütantin vorstellen? So wie das Schriftstellerwerden verschult, verschult die Laufbahn mit der Stafette aus Wettbewerben, Stadtschreiberposten und Stipendien. Zur richtigen Zeit die richtigen Preise einfahren, heißt das Motto. Mit 25, 30, 35 werden Karrieremarken gesetzt. Wer bis 35 das Procedere nicht erfolgreich durchlaufen hat, kann in der Regel kaum noch darauf hoffen, einen Verlag zu finden. Wohlgemerkt, eine Katastrophe ist das nicht. Der Markt kann auf vieles verzichten, es fragt sich allenfalls, auf wen er verzichtet.

Natürlich muss der Autor der Zukunft gut schreiben können. Er muss sogar besser schreiben können als der Autor der Vergangenheit. Denn immerhin hatte der Autor der Vergangenheit etwas mitzuteilen. Der Autor der Zukunft steht gleichsam nackt da, ohne Leidensdruck und Erfahrung, und benötigt außer der literarischen Produktion ein Image, dessen Pflege dem Zukunftsverlag am Herzen liegen sollte.

Jeder Held des Zukunftsromanciers wird ein verkappter Zukunftsromancier sein. Wer nichts in der Welt erlebt, muss schon lebhaft erfinden, um im Gespräch zu bleiben. Allzu deutlich könnte man spüren, dass der fleißige Literat Plots und Konstellationen in der warmen Stube ersonnen und kunstvoll zusammengestellt hat, um damit beim nächsten Wettbewerb zu reüssieren. Nicht länger heißt es: Was habe ich zu sagen, sondern: Wie muss ich es schreiben, um der Jury zu gefallen.

Da fügt es sich, dass Bücher immer seltener gelesen werden. Sie entfalten eine sublimere Wirkung, indem sie zum Signum intellektueller oder pseudointellektueller Verständigung werden, zum Gefühlstransmitter: Du lebst im Brennpunkt der Zeit. Deshalb lassen sich Bücher so ausgezeichnet verschenken. Man muss sie nicht lesen, gibt aber das Versprechen auf ein zeitgemäßes (Lese-)Erlebnis. Mehr noch, in kompaktester Form wird ein Stück Gegenwart, ein Trend, greifbar. Mag sein, dass neue Literatur eines Tages ausschließlich von Rezensenten gelesen wird. Das Publikum wiederum liest die Rezensionen anstelle des Buches, das lediglich als Signet der Gegenwärtigkeit dient. Es spricht einiges dafür, dass die Buchproduktion mit dem wachsenden Bedürfnis nach gehobenen Identifikationsmustern und Markenzeichen zunehmen wird.

Bedauern müsste diese Entwicklung niemand. Der Dichter der Vergangenheit konnte nicht immer gut schreiben, aber er wird vielleicht noch in fünfzig Jahren gelesen. Der Autor der Zukunft wird brillant schreiben können, aber er wird in fünfzig Jahren vergessen sein. Das stört ihn allerdings nicht. Darin ist er dem Dichter der Vergangenheit überlegen.

Andreas Heidtmann    07.02.2007    

Andreas Heidtmann
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