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Elke Erbs
Poetics  16


Danksagung


Johann Peter Uz (1720-96)

Der Schäfer

Arkadien! sey mir gegrüsst!
Du Land beglückter Hirten,
Wo unter unentweihten Myrthen
Ein zärtlich Herz allein noch rühmlich ist!

Ich will mit sanftem Hirtenstab
Hier meine Schafe weiden.
Hier, Liebe! schenke mir die Freuden,
Die mir die Stadt, die stolze Stadt nicht gab.

Wie schäfermässig, wie getreu
Will ich Climenen lieben,
Bis meinen ehrfurchtvollen Trieben
Ihr Mund erlaubt, dass ich ihr Schäfer sey!

Welch süssem Traume geb ich Raum,
Der mich zum Schäfer machet!
Die traurige Vernunft erwachet:
Das Herz träumt fort und liebet seinen Traum.


Dieses Gedicht in dem Reclam-Band Gedichte und Inter­pretationen. Auf­klärung und Sturm und Drang, hggb. von Karl Richter, Stutt­gart 1983 kam mir beim ersten Mal dermaßen ein­fältig vor, und jetzt, als ich es wieder las, auf den ersten Blick genauso: Wie geradezu aus vor­gefer­tigten Holz­teilen zusammen­gesetzt. Und ich konnte diesem Augen­schein kaum glauben, in einem Grade nicht, daß ich nur kurz (unter der Unter­forderung) litt.

Nicht, daß er mit meiner Einfalt gerechnet hätte – aber der inter­pretierende Text von Christoph Perels redete mir damals gut zu, mit ein paar schlich­ten Unter­scheidungen, vor­nehmlich im Hin­blick auf die traurige Vernunft im vor­letzten Vers:

„In einer Skala von ernsthafter über die traurige zur melancholischen Vernunft“, sprach er, „steht die mittlere Position zwar noch dies­seits der patho­logischen Ausartung, aber doch schon jenseits einer akzeptablen Ernsthaftigkeit.“ Und: „Ihr durch­schauender, wacher Blick“, fuhr die liebwerte Würdigung fort, „nimmt mit den Verlusten in der ›stolzen Stadt‹, der gesell­schaft­lichen Lebenswelt, auch schon ihre eigenen Defizite wahr.“

„So wird das weiter­träumende Herz zur kritischen Instanz“, lese ich nun erfreut wieder, „indes die Vernunft trauernd bei sich selbst verharrt.“ Auch „die subtile Ver­schrän­kung von Traum und Wachen, die dem Schluß des Gedichts eine eigen­tüm­liche Offen­heit ver­leiht“ – leuchtete (und leuchtet mir jetzt von neuem) ein, während “daß nicht er (der Traum – E.) sich vor der Rea­lität, sondern diese sich vor ihm zu legi­timie­ren hat, und zwar moralisch und ästhe­tisch“, (wie Perels sagt, daß Uz meint) mir aus­gespro­chen impo­niert, denn das ist ja wohl mehr als die Fran­zösische Revo­lution erbracht hat, ermesse ich ohne weiteres.

Christoph Perels zitiert den älteren Friedrich von Hagedorn (1708-54), einen andern in diesem Reclam besprochenen Dichter, der an einen jüngeren Verehrer schreibt: „Aber ein Dasein ohne Freunde ist kein Leben.“ „Man muß mit jemand sein Herz, seinen Ernst, seinen Schertz (sic), sein Lachen, sein Weinen theilen.“ „Daß man seine Vernunft mit jemand­em teilen könne, davon ist nicht die Rede“, bemerkt Perels dazu.

Es bewirkt Dankbarkeit, wenn man von einem ab­sprechenden Ein­druck einmal erlöst wird. Die ent­scheidende Ein­sicht war: Wir haben es aber hier nicht mit uns selbst als der Zukunft zu tun, sondern, wie ein anderer Inter­pret im Reclam, Uwe-K. Ketelsen, bei einem Gedicht von eben jenem Hage­dorn vor­stellig macht, mit einem gegen­wärtigen, zeit­genös­sischen Publi­kum, „das in ge­selliger Kenner­schaft [...] die Muster kennt und das Spiel von Tradition und Variation durchschaut“, und daß man bei Uzens „unentweihten Myrthen“ in Vers 3 weiß und auch weiter­hin versteht, wo­von die Rede ist.

Einen gewissen mageren, auf mich direkt wirkenden Reiz indessen hatte ich den­noch (nach Perels Hinweis willig) wahr­genommen: nämlich den der wach­senden Vers­länge von Vers 2 bis 4 in jeder Strophe, und nachdem ich den Aus­füh­rungen weiter gefolgt war, konnte ich es auch genießen, wie das Gedicht, mit der nicht eben musi­kali­schen, aber doch in die Nähe eines Lieds rückenden Lautung der seiner­zeit ver­breiteten spezi­fischen Armseligkeit, nichts als ein Epigramm zu sein, real ent­kommen ist, (längst, ehe einem das überhaupt in den Sinn kommt).
Elke Erb   23.10.2012   

 

 
Elke Erb
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