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Dominic Angeloch
Kinderspiel
Langweilig war es gewesen, dort auf der Schwäbischen Alb bereits seit Stunden in der heißen Sonntagssonne hinter unseren Eltern herzugehen – bis sich eines von uns Kindern dieses Spiel ausdachte. Dabei ging es eigentlich nur darum, uns vorzustellen, als Hirten mit der Hilfe eines Hundes eine Schafherde zu hüten. Immer wieder entfernte sich ein Tier von der Herde; wir riefen uns dann gegenseitig Hinweise zu, in welche Richtung das Tier gelaufen sein mochte und konnten es so wieder einfangen. In der Zwischenzeit aber war schon ein anderes Tier weggelaufen, dem wir nun nachjagen mußten, weil unser Hirtenhund nicht auf es geachtet hatte.
Die anderen Spaziergänger, die uns von Zeit zu Zeit begegneten, müssen uns für verrückt gehalten haben, so, wie wir uns gegenseitig scheinbar grundlos anschrien und umherrannten, als jagten wir Schafe, obwohl da gar keine waren. Aber auf diese Weise vergaßen wir die Langeweile.
So viel Spaß hatten wir an diesem Spiel, daß wir es immer wieder spielen wollten. Bald reichten uns die Sonntagsspaziergänge nicht mehr aus, und so erweiterten wir das Spiel, indem wir es auch zuhause spielten: Aus den verschiedenen Räumen des Elternhauses wurden Ställe für Kühe, Schafe, Schweine, Ziegen und Hühner, die wir ausmisten und pflegen mußten.
Nach und nach entstand so ein richtig großer Bauernhof mit einer wachsenden Anzahl von Tieren. Wir legten mehrere Pläne an, mit Zeichnungen der Ställe und Angaben über die Tiere, was sie fressen, und besondere Merkmale, ihres Äußeren oder des Charakters. Manchmal wurde eines krank, dann mußten wir den Tierarzt holen; Tiere starben - oder es wurden neue geboren, denen wir dann Namen geben mußten (was uns am meisten Spaß machte).
Aber bald wurde das Haus zu klein für all die Tiere. Wenn wir eines rufen wollten, kamen immer gleich mehrere angetrottet, um an unseren Händen zu riechen und um Futter zu betteln. Nach einiger Zeit hatten wir das Interesse für das Spiel schon beinahe verloren. Wir dachten uns neue aus und schauten immer unregelmäßiger nach den Tieren, wie es ihnen gehe und ob sie neues Futter bräuchten. Irgendwann hatte keiner von uns noch Lust, die Ställe auszumisten. Im ganzen Haus fing es an zu stinken, und es wurde immer schwieriger, unsere Eltern auf die nächsten Tage zu vertrösten, in denen das längst gegebene Versprechen, alles aufzuräumen, was an Mist und Dreck im Weg lag, endlich eingelöst werden würde.
Als wir beschlossen, zuerst die Kühe, Schafe und Ziegen, später die mittlerweile viele Eier legenden Hühner und zuletzt die Schweine zu verkaufen, die so lustig grunzen konnten, wenn man ihnen den Rücken kratzte oder eine gewisse Stelle am Bauch kraulte, waren wir uns einig darin, daß wir sie nur an Bauern abgeben würden, von denen wir sicher sein konnten, daß sie unsere Tiere gut behandeln und pflegen würden - anders als wir, die wir hinter dem Sofa im Wohnzimmer bereits eine verendete Ziege gefunden hatten, in deren gebrochenen Augen ein stummer, für uns aber umso schrecklicherer Vorwurf lag.
Wir freuten uns schon darauf, all unsere Tiere bald wiederzusehen, die Kühe, Schafe, Schweine, Ziegen und Hühner. Und vielleicht auch unseren Hirtenhund, der ziemlich alt war und schon ein bißchen hinkte.

 

Dominic Angelochl  14.04.2008   Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht   Seite empfehlen  empfehlen

Dominic Angeloch
Prosa