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Norbert Gstrein
Die Winter im Süden

Einstimmung auf den Winterschlaf
Kritik
Norbert Gstrein | Die Winter im Süden
Norbert Gstrein
Die Winter im Süden
Roman
Carl Hanser 2008
Eine besondere Geschichte innerhalb eines allgemeinen, historisch gesicherten Rah­mens zu zeichnen, birgt neben der Möglich­keit, die Fiktion an der Realität zu spiegeln, immer auch die Gefahr, sich in Details zu verlieren, die das eigent­liche Anliegen aufgesetzt und klischee­haft wirken lassen. Norbert Gstrein hat in seinem jüngsten Roman wieder einmal die Omni­präsenz eines latenten Kriegs­zustands als Passe­partout gewählt, um in der ihm ur­eigenen Sprache einen Generationen­konflikt auszu­breiten, der weder vor Fragen nach der Selbst­bestimmung des Menschen noch vor deren exempla­rischer Kapitu­lation haltmacht. Dabei allerdings macht sich zunehmend der Verdacht breit, dass das Thema selbst vor­zeitig vor dem Autor und dessen alles zer­redender Deutungs­sehnsucht kapituliert.

Vordergründig bereitet ein 1945 aus Jugoslawien nach Argentinien geflohener Antikommunist nach einem halben Jahr­hundert im Exil seine glorreiche Rückkehr ins Heimatland vor, in dem heute – Anfang der Neunziger – der Krieg erneut tobt. Zurück­gelassen hat er damals Frau und Tochter, und diese, nach der Jesusmutter Marija getauft und nunmehr fünfzig, erfährt aus­gerechnet während ihres unfreiwillig freiwilligen Aufenthalts in Kroatien vom Versuch ihres totgeglaubten Vaters, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Dabei lässt sie sich von ihrem Ehemann, einem erfolg­reichen Wiener Journalisten und pragmatisch gewordenen Alt-Achtund­sechziger, ebenso dreinpfuschen wie von Angelo, dem verwundeten kroatischen Soldaten, der in aller Brutalität zu ihrem jugendlichen Kurz­zeit­lieb­haber avanciert und das verstörte Vater-Tochter-Verhältnis um eine weitere empfindliche Nuance bereichert. Als dritte Hauptfigur heuert der Vater einen Lakaien mittleren Alters an, Ludwig, dessen Polizeikollegin und heimliche Geliebte vor seinen Augen am Wiener Westbahnhof erschossen wurde und der sich nun in Argentinien mit der Sinn­losigkeit seines bisherigen Lebens konfrontiert sieht, aus dem er Hals über Kopf geflohen ist.

So, wie der Autor seine Figuren erfindet, als wären sie allesamt Abzieh­bilder von in die Jahre gekommenen und spielunlustig gewordenen Schauspielern, denen die immer gleiche Rolle jede Fähigkeit zum spontanen Ausdruck verknöchern ließ, entpuppt sich auch die Erzählung drumherum als wässriges, konturenloses Bühnenbild, in das sich die althergebrachten Requisiten ächzend, aber doch problemlos einführen lassen.

Das Setting der Geschichte changiert kapitelweise zwischen Zagreb und Buenos Aires, Wien spielt eine kleine Rolle, und nichts in Gstreins unbestritten einzig­artiger Erzähl­weise verlangt eigentlich danach, dass ein im süd­amerikanischen Exil polternder Alt­faschist sich tatsächlich aller Stereo­typen bedient, die man von diesem erwartet. Zwar knallen die Pistolen des „Alten“, wie er im Roman durchgehend heißt, ausschließlich im Schießkeller, zwar begnügen sich seine beiden Kampfhunde damit, immer brav an Seite ihres kurz geschorenen Herrchens böse Miene zum grotesken Spiel zu machen, zwar beläuft sich die Rolle des desillusionierten Ex-Polizisten ausschließlich darauf, den Leibwächter tatsächlich nur zu mimen, zwar bleibt die längst herbeigeahnte Entdeckung des Verhältnisses von Ludwig mit der jungen Gattin seines Arbeitgebers ohne gröbere Folgen, doch mündet ein solches Nebenher an Plattitüden gerade durch seine Zweckfreiheit in der ent­scheidenden Frage: braucht der Autor ein derartiges Ensemble, um den Anschein von der Gefährlichkeit des „Alten“ zu wahren, wirklich, oder ist es eben jener Protagonist, der sich, wie im Roman hinlänglich bezeugt, in seiner ungebrochenen Kämpfersehnsucht so gut gefällt, dass er bereitwillig auch noch zur letzten augenscheinlichen Lächerlichkeit dankbar ja und amen sagt? Letztere Ansicht legt der Roman vielfach nahe, es sind dann aber eher episodenhaft eingestreute Erwähnungen am Rande, die die Skrupellosigkeit des „Alten“ tatsächlich bestätigen und so den ganzen Aufwand drumherum zur Farce degradieren.

Sprachlich schreitet Gstrein gewohnt souverän voran; bisweilen formuliert er zart-poetisch, selten banal, leider aber erschreckend oft redundant. Die Erzählinstanz könnte auktorial genannt werden, wären da nicht die überdeutlichen Schilderungen der Gefühlswelt von Ludwig und Marija in Kombination zu den oftmals mit bloßen Vermutungen versehenen Reaktionen der Umwelt. Sie könnte als personale Perspektive verstanden werden, käme ihre Stimme nicht in einem fort aus dem Off, das überall und nirgends zu sein scheint. Solcherart vermischt der Erzähler die Farblosigkeit seiner Akteure zu einem einheitlichen Grau, das man den Figuren in ihrer Menschlichkeit zwar zuschreiben kann, das aber in schmerzlichem Kontrast zur bewegten Rahmenhandlung steht. Gleichfalls irritiert Gstreins Endlossatzstil, an den man sich zwar schnell gewöhnt, der aber dann doch wieder durch Dialogfragmente aufgebrochen wird, um sich im Anschluss an ins letzte Detail gehenden Deutungen des zuvor wörtlich Gesagten auszulassen. Kurz: dem Leser bleibt es überlassen, das Buch zu lesen; weiterführende Gedanken aber werden konsequent in eine als Kreuzung getarnte Sackgasse gelenkt.

Unausgegoren kann Norbert Gstreins neuer Roman wohl kaum genannt werden; zu exakt wurde hier recherchiert, arrangiert und letztlich auch elaboriert. Dennoch nimmt das Werk einen sehr eigentümlichen Platz in der deutschsprachigen Literaturlandschaft ein. Von „modern“ kann stilistisch nicht die Rede sein, genauso wenig wie von „unterhaltsam“. Das macht ihn natürlich nicht schlechter, als er ist, aber irgendwie fragt man sich schon, wenn der letzte Punkt dann doch plötzlich gesetzt ist, ob „die kleine Mühe, ein Buch zuzuklappen, das zu Ende war, und nicht mehr daran zu denken“, jene große, es vorher gelesen zu haben, in diesem Fall rechtfertigt.
Daniel Kindslehner     14.02.2009   
Daniel Kindslehner