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Claudia Gabler

Eigentlich hatte ich gehofft, der Bus sei schon abgefahren.
Ich hatte ja keine Ahnung von den Rokokokirchen und
ihren egozentrischen Lichtspielen. Dich dagegen befriedigt es
offensichtlich völlig, wenn eine Taube sich aus den Glocken
schlägt, so wie wir damals dachten, wir wüßten alles über
das Leben und diese albernen Raclettegeräte. Heute weiß
ich zumindest, daß wir jahrelang neben einem berühmten
Hirnchirurgen gewohnt haben, ohne auch nur seinen Namen
zu kennen. Im Nachhinein bin ich mir sicher, daß er
ein guter Gesprächspartner gewesen wäre.

Ja, es ist wahr, von der Natur können wir so manches über
Ordnung lernen. Und ich meine nicht die Ordnung, die sich
ständig wiederholt und deshalb langweilig ist. Sondern ich
meine die komplexe Ordnung der Welt der Dinge, in der wir
leben. Also das Chaos als subtilere, nicht wiederkehrende
Art von Ordnung.

Schreibst du das alles auf? Rufst du mich an, wenn du
wiederkommst von dem Kontinent, der dich aufbläht wie
einen Mathematiker, der über seiner Arbeit verzweifelt?
Ich wünschte, wir hätten noch etwas von dem Käse da,
den wir im Morgengrauen in der alten Markthalle
neben der Themse gekauft haben. Als du am anderen
Ende der Welt am Fenster standst und ein Insekt
aus deinem Auge riebst.

Aus: Die kleinen Raubtiere unter ihrem Pelz. Rimbaud Verlag, 2008

Claudia Gabler   06.03.2009    
Claudia Gabler
Lyrik