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Lauter begabte Spitzenklöppler?

Kommentar von Axel Kutsch

Stephen Frey
Feigen, die fusseln
Aufbau 2008

Der englische Schriftsteller und Schauspieler Stephen Fry hat mit seinem bemerkens­werten Buch Feigen, die fusseln (Aufbau-Verlag) nicht nur ein kenntnis­reiches, originell geschriebenes Werk über die Reize von Metrum und Reim verfaßt, sondern im ab­schließenden Kapitel mit Blick auf die Situation in seinem Heimatland auch eine kritische Bestands­aufnahme gegen­wärtiger Poesie vorgelegt. Fry schreibt unter ande­rem: „Ich denke, dass viele Gedichte, die heute geschrieben werden, an Blutarmut leiden. Ihnen fehlt das Eisen im Blut, sie haben keine Energie, keinen Antrieb... Viele feine Miniaturen, aber nur wenige mutige Explosionen von Leben und Farbe.“

Wirft man einen Blick auf die deutsch­sprachige Lyrik unserer Tage, so ergibt sich, gerade was die breit gefächerte jüngere Autoren­generation betrifft, ein ähnliches Bild: kühne Gedichte gehören eher zu den Ausnahmen. Bei allem Talent überwiegen weitgehend die feinen, gekonnt verfaßten Miniaturen. Mutige Explosionen, wie wir sie zum Beispiel haufenweise von Rolf Dieter Brinkmann oder Thomas Kling kennen, sind selten zu registrieren. Das Wohltemperierte ist angesagt. Man liest es gerne, aber es reißt einen nicht vom Hocker.

Der Lyriker und Essayist Theo Breuer, der sich wie kaum ein anderer in der aktuellen deutschsprachigen Poesie auskennt, bezeichnete kürzlich in einem Aufsatz den von Kritikern hochgelobten Lyriker Nico Bleutge als begabten Spitzenklöppler. Sind wir nicht von lauter jungen begabten Spitzenklöpplern umgeben, bei denen es – wie in Uljana Wolfs „aufwachraum“-Gedichten – nur gelegentlich zu kleineren Explosionen kommt?

Die beiden Lyrik von jetzt-Anthologien und Neubuch. Neue junge Lyrik vermitteln einen guten Überblick über die enorme Breite an talentierten neuen Poeten im deutschen Sprachraum. Aber wirklich Aufregendes ist kaum zu entdecken. Vertraut man der Einschätzung von Stephen Fry, dann ist die Lage in England zur Zeit nicht anders: „... es wirkt vielmehr so, als wäre die Lautstärke auf leise gedreht, als fürchteten sich die Dichter vor Kühnheit.“ Also – etwas mehr Mut zum Risiko. Es braucht ja nicht gleich ein neues Waste Land dabei herauszukommen.

 

Axel Kutsch  19.01.2009   

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