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Es könnte viel bedeuten: wir vergehen...

Ein Brief an Ingeborg Bachmann

Ingeborg Bachmann wäre am 25. Juni 2006 80 Jahre geworden. Der Poetenladen stiehlt sich aus dem Chor offizieller Lobredner und bietet den Beitrag einer jungen Lyrikerin.

Liebe Inge. Mit Verlaub, dieses Du. Ist man in Österreich schon taub vom meisterlichen Klang, der aus allen Orchestergräben schwillt? Auch an diesem fünfundzwanzigsten im Juni? Jetzt ist es zu lange her, dass man dich warf in die Welt, um das Glas zu erheben, und für Trompeten noch nicht lang genug. Doch bei dieser Zahl, achtzig, fällt es auch mir schwer an dich zu denken. Dein gescheiteltes Haar und erst zum Schluss die trüben Augen, die müder wurden von innen her. Deine Unsicherheiten, durch die sich so mancher Zeitgenosse zu einer Fantasie hinreißen ließ. All die Retter um dich herum. Hast du sie bemerkt? Oder kennst du die Geschichten, mit denen sie dich jetzt umzingeln? Im übergroßen Bimbam der Worte wird deine Stimme überhört. Wiener Klassik übertönt die Schreie aus dem Ungargassenland.

Als du 1952 nach Niendorf zu Hans Werner Richters Gruppe 47 kamst, kannte dich niemand. Das enge Klagenfurt, das noch immer zu vibrieren schien unter dem Stiefeltritt der Hakenkreuzler, hattest du verlassen, dich schwemmen zu lassen an diesen Strand. Und auch wenn von mir noch keine Ahnung blieb, war dort das gleiche Rauschen, das einem weis machen will, wie beschränkt der Blick in den Horizont bleibt. Von Land aus. Zur First Lady der Gruppe 47 wurdest du, deiner Meinung nach, ganz ohne verstanden zu werden. Und wahrlich scheint kaum jemand von der gestundeten Zeit eingeholt worden zu sein. Zwar ist sie immer noch deutlich sichtbar am Horizont, doch meine Großeltern sind längst erblindet und wir schließen aus Vorsicht die Augen. Der Krieg wird nicht mehr erklärt sondern fortgesetzt. Im Strudel dieser Zeit nicht unterzugehen bedeutet normal zu sein, was kaum einer als die eigene Norm beweisen kann.

Dass Frauen sich deinen Namen auf die Fahnen schrieben, kannst du das verzeihen? Hörst du noch hin, wenn einer dir die Hand reicht, nun, da er eine ehrenwerte Tote nicht mehr als Wüstenland für Männerlüste zu bezeichnen braucht? Erhebst du dann noch einmal die heisere Stimme oder ist es ein endgültiger Zorn, der schreibt: Mein Teil, es soll verloren gehen? Keine Sorge, diese Resignation hinterlässt keine Delikatessen, auch wenn manche deine Worte drehen und wenden. Herumspülen im Mund, bis alles so schön klingt. Dass dieser Schmerz ganz ohne Wege ist, mag niemand hören. Dass er betäubt wird zwar von Wüstenmärschen und violetten Revolutionen, doch nie geheilt. Ein Wunder der Medizin im Herbstmanöver der Zeit.

Sicher habe ich deine Gedichte verschlungen. Habe sie gesungen. Mich berühren lassen. Vertragen auf allen Wegen. Aber zum Zittern bringen mich die Todesarten. Sitzt man dieser Tage in renommierten Häusern und lauscht renommierten Leuten, wie sie deine renommierten Texte lesen, sind die Bänke kaum gefüllt. Die spurlosen Füllsel kennen ihre Bachmann! Doch schon unter dem Scheinwerferlicht geschehen Dinge, die Fanny Goldmanns Requiem überlachen. Im Schoß bleibt nur die Wut und viel mächtiger eine Ahnung, dass alles so bleiben wird. Was der Herr neben mir wohl Angst nennt. Alles ist unfertig, weil du dich nicht trautest deine Figuren zu Ende zu definieren. Das hast du nicht gewagt und bist darin in allem Mensch. So fremd unserer arroganten Schreiberhaltung: Hier bin ich und diktier euch die Welt. Das hast du nicht geschafft, Inge: zu richten, die Welten zu teilen. Nur Schatten Rosen/ Schatten. Das wolltest du nicht mehr. Das zerrauft mir das Haar. Am meisten. Wie soll einer da noch schreiben? Nur trunken hinwegwanken über die Grenzen der erheblichen Scham, scheint schon Gewalt zu sein. Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer! Was traut ihr euch angesichts einer Frau, die in die Wand ermordet wird so klare Worte wie „Dreiecksgeschichte“ oder „Auschwitztraum“ zu benutzen. Muss denn alles, was verschwommen und nicht greifbar wirkt, ausgemalt werden, konturiert wie ein Kinderbuch? Sieht denn niemand die Pflastersteine schwimmen, auf die er treten will? Was macht ihr denn mit all den nächsten Augenblicken? Verzeih, wenn ich laut werde, in Wirklichkeit traue ich es mich ja nicht.

Man kann so selten sagen, dass man jemanden vermisst. Vermisst man ihn wirklich oder vermisst man sich selbst mit ihm? War es das Wetter, dass alles so schön aussah? Ich kenne bloß deine Worte, von denen wenige genügen, dass mir ihr Klang die Glieder zerreißt. Meine Lunge schmeckt länger dann nur Blut. Dennoch bin ich so beruhigt, dass ich voll Hoffnung warte, bis alles getrocknet ist: Wenn eine das geschrieben hat! Wir müssen wahre Sätze finden! Vielleicht ist es das, was ich, durchaus mit einem Hang zum Pathos, vermisse. Dass es jemand versucht. Dass sich jemand auf die Suche begibt nach diesen Sätzen. Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. Wer traut sich daran unterzugehen? Wer springt dafür ins Feuer? Ich bloß finde mich willig dem Abschied nach jeder Umarmung. Wenn hinter mir die Möwe stürzt und schreit, sollte ich längst wissen: Es kommen härtere Tage.

Anne Rabe        03.06.2006

Anne Rabe
Prosa
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